Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters
Wachstube. Die Zipfelmütze hatte er gegen einen verbeulten Helm getauscht, trug jedoch weiterhin das Nachthemd und neben dem Öllämpchen auch noch eine spitze Hellebarde. So arbeitete er sich die Treppe hinab und nahm ohne weiteres Zögern die Verfolgung des Gespanns auf, das gerade mit aufreizender Langsamkeit in eine Seitengasse einbog.
Das erregte Schimpfen des alten Mannes wurde langsam schwächer und schon bald war er in der Dunkelheit verschwunden.
Die drei im Schatten warteten, wie es weitergehen würde…
»So, jetzt können wir.«
… und fuhren erschreckt herum.
»Gimbar! Du hättest dich ruhig etwas lauter anschleichen können«, keuchte Yonathan.
Der Getadelte schüttelte den Kopf. »Ging nicht. Der Alte hat mit seinem Geschrei schon genug Lärm verursacht. Hoffentlich ist dadurch niemand aus dem Bett gelockt worden.«
»Was hast du mit ihm angestellt?«
Gimbar zuckte die Achseln. »Was soll ich mit ihm angestellt haben? Er verfolgt weiter das Pferdegespann, das gerade die Ost-West-Straße hinauffährt. Ich muss sagen, der Alte ist sehr zuverlässig! Er tut wenigstens was für sein Geld.«
»Er tut mir fast ein bisschen Leid.«
»Das muss er nicht, Yonathan. Schließlich ist er ja jetzt stolzer Besitzer eines Pferdegespanns mit einigen Ballen guten Tuchs.«
»Können wir dann vielleicht langsam ans Abhauen denken?«, fragte Yomi ungeduldig.
»Du hast Recht, Langer«, pflichtete Gimbar bei und griff in eine Tasche. »Und jetzt wollen wir mal sehen, was dieses kleine Schlüsselchen hier alles kann.«
Er schritt lautlos voran und die drei übrigen Gestalten folgten. Die offen stehende Tür der Wachstube schüttete ein dünnes Licht auf die Straße, das nur sehr unvollkommen die Finsternis am Fuße der Stadtmauer durchdrang. Trotzdem richteten sich drei Augenpaare gespannt auf das Schlüsselloch, an dem Gimbar hantierte.
»Ich bekomme es nicht auf«, stöhnte er nach einer Weile verzweifelten Herumstocherns.
»Das kann gar nicht sein«, behauptete Yomi und vergaß ganz das Flüstern. »Lass mich mal probieren.«
Nach kurzer Zeit fruchtlosen Klapperns und Hakeins meinte auch er: »Irgendwas läuft hier unheimlich schief. Der Schlüssel lässt sich nicht rumdrehen. Vielleicht hast du den falschen Schlüssel erwischt, Gimbar.«
»Es war der einzige Schlüssel, den der alte Wächter am Gürtel trug«, verteidigte sich Gimbar. »Woher sollte ich ahnen…?«
»Lass uns lieber überlegen, was wir jetzt tun können«, drängte Felin. »Ich höre nämlich etwas klappern. Vermutlich kommt der Wächter zurück.«
»Jetzt sitzen wir unheimlich in der Patsche, stimmt’s?«
»Du hast eine seltene Gabe Schwierigkeiten auf den Punkt zu bringen, Yomi.«
»Wie wär’s, wenn ich mit Bar-Schevet das Schloss aus der Tür schneide? Nach allem, was das Schwert bisher gezeigt hat, sollte das keine allzu große Schwierigkeit…«
»Nein, Felin«, unterbrach Yonathan. »Das ginge zwar sicherlich, aber das breite Schwert würde einen unübersehbaren Schaden hinterlassen. Dem Nachtwächter würde das bestimmt sofort auffallen und wir hätten im Nu die
ganze Stadt auf den Fersen.«
»Hast du eine bessere Idee, Yonathan?«
»Vor allem eine schnellere?«, drängte Yomi ungeduldig. »Ich höre den Wagen jetzt schon ganz deutlich!«
Yonathan nickte und hielt plötzlich einen blitzenden Gegenstand in der Hand. »Diese Klinge hier ist sehr schmal und unauffälliger als der Zweihänder.«
Felin starrte verwundert den prächtigen, funkelnden Dolch an, der das wenige Licht unterhalb der Wachstube auf sich zog. »Wo hast du den plötzlich her? Ich habe ihn vorher nie bei dir gesehen.«
Yonathan lächelte, während er sich gleichzeitig an der Tür zu schaffen machte. Ohne den Blick von dem Schloss zu wenden, antwortete er: »Dies ist eine sehr zurückhaltende Klinge. Ich habe sie die ganze Zeit bei mir getragen, selbst als man mich im Palast deines Vaters wie einen Gefangenen behandelte.«
»Aber wie willst du mit einem Messer die eisernen Riegel…?«
»Pscht!«, machte Yonathan. »Ich muss mich jetzt konzentrieren.«
Felins Zweifel waren begründet. Schließlich war die Gefahr, von dem immer näher kommenden Wächter entdeckt zu werden, für jeden unüberhörbar. Der Prinz konnte schließlich nicht wissen, dass, ebenso wie das Schwert Bar-Schevet, auch Yonathans Dolch über ganz besondere Eigenschaften verfügte.
Yonathan schloss die Augen, versuchte sich zu sammeln. Durch seinen Geist trieben Bilder aus der
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