Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters
ihm genommen.
»Ich überlege, ob ich sie nicht lieber bei dir lassen sollte, jedenfalls bis wir uns in Gan Mischpad wiedertreffen.«
Bithyas Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Offensichtlich versuchte sie einen Haken in Yonathans Angebot zu entdecken. Als ihr das nicht glücken wollte, erwiderte sie: »Wir können die Entscheidung darüber ja Gurgi überlassen.«
Yonathan zögerte. »Was weiß ein Masch-Masch schon von den Gefahren, die uns auf unserer Reise durch die Mara bevorstehen?«
»Ich habe den Eindruck, diese kleine Pelzkugel da hat ein Gespür für viele Dinge.«
Bithya hatte Recht. Sie hatte nicht lange gebraucht, um zu bemerken, was in dem kleinen Masch-Masch steckte.
»Also gut«, stimmte Yonathan zu. »Lassen wir Gurgi wählen.«
Das lockenhaarige Mädchen bückte sich und setzte das mit sich selbst beschäftigte Wesen behutsam auf den Boden. Sogleich beendete Gurgi ihr Putzen und beäugte ihre neue Freundin neugierig. Bithya ging langsam fünf Schritte zurück und auch Yonathan entfernte sich etwas.
Dann ging er in die Hocke und lockte den Masch-Masch mit sanften Worten. »Gurgi! Hier bin ich. Ich werde jetzt bald meine Reise fortsetzen. Sie wird lang, beschwerlich und gefahrvoll sein. Willst du mit mir kommen?«
Das pelzige Wesen aus den Wäldern des Verborgenen Landes war zwei oder drei seiner kleinen Schritte auf Yonathan zugehüpft und hatte dann – eine Vorderpfote noch immer in der Luft – unbeweglich den Worten seines Herrn gelauscht, jedenfalls sah es so aus.
Dann meldete sich Bithya zu Wort. »Gurgi! Schau! Hier bin ich, mein Kleines.«
Der Masch-Masch wandte sich um und watschelte ungefähr vier Schritte auf die Ruferin zu.
»Gurgi, ich verspreche dir Zuneigung und Sicherheit. Mit Nüssen und Süßigkeiten will ich dich nicht locken, denn das wäre unfair, wenn es um solche Dinge wie Freundschaft und Beistand geht.«
Yonathan warf dem Mädchen einen finsteren Blick zu, aber dann besann er sich. Eigentlich war es nur gut, wenn Gurgi bei Bithya blieb – vorläufig jedenfalls.
Tatsächlich hoppelte der Masch-Masch noch einige Schritte auf Bithya zu.
»Ja, geh nur. Es ist zu deinem eigenen Besten.« Enttäuschung lag in Yonathans Stimme.
Gurgi hielt inne und drehte sich zu Yonathan um. Mehrmals wandte das kleine Wesen den Kopf hin und her. Die flauschigen Ohren zitterten. Der Masch-Masch verhielt sich gerade so, als stände er vor der schwierigsten Entscheidung seines kurzen Lebens: hier eine alte Freundschaft, Mühsal und Gefahr, dort eine neue, Nüsse und Kurzweil. Wohin sollte er sich wenden?
Ein letztes Mal blickte Gurgi zu Bithya herüber, blinzelte wie zum Abschied mit den großen Augen und sauste dann auf Yonathan zu.
Jetzt spürte Yonathan doch Erleichterung. Als er den Masch-Masch aufhob und nach Bithya schaute, war diese wie vom Erdboden verschluckt.
Bald nahm man ein gemeinsames Frühstück ein, obwohl es inzwischen schon Mittagszeit war. Bithya hielt Abstand zu Yonathan, doch ihre schwarzen Augen versprühten beunruhigende Blicke.
Die Stimmung im Lager war gedämpft. Jeder wusste, dass dies ein Abschied für immer sein konnte. Und alle waren sich wohl auch darüber im Klaren, dass ein Fehlschlag mehr als nur den Verlust lieb gewonnener Freunde bedeutete. Das Wohl ganz Neschans stand auf dem Spiel.
Gimbar und Schelima hielten sich bei den Händen, wie schon vor vier Tagen, und jeder war versunken im Anblick des anderen.
Yonathan spürte ihren Abschiedsschmerz. Zum ersten Mal sah er in der Zuneigung, die ein junges Paar füreinander empfand, nichts Albernes oder Mysteriöses. Er ging zu den beiden hinüber, legte seine Arme um ihre Schultern und sagte in einem Ton, der ihm selbst fremd erschien: »Bestimmt werdet ihr euch wieder sehen. Ich weiß es gewiss! Und dann wird eure Freude alles überstrahlen, was euch je bedrückte.«
Yonathan schwankte, als säße er wieder im Heck der Mücke. Es war wie in jener stürmischen Nacht, als er, Yomi und Gimbar mit ihrem kleinen Segelschiff auf dem Rücken Galals strandeten, jenes riesenhaften, unerforschlichen Wesens der Meere.
Doch jetzt bestand keine Hoffnung, an den Gestaden eines Traumfeldes einen sicheren Hafen zu finden; das »Schiff«, auf dem Yonathan saß, hatte den unruhigen Seegang sozusagen eingebaut. Es hieß auch nicht Mücke wie jener kleine Einmaster, sondern Kumi.
Kumi war ein Lemak. Nicht irgendeines jener gelblichen, hochbeinigen Tiere, die Yonathan erstmals vor den Mauern Meresins in
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