Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters
Yonathan.
Der Schützende Schatten überzog sein Gesicht abermals mit unzähligen Falten, als er lächelnd antwortete: »Probiere es lieber nicht aus, Yonathan. Nur Baltan und vielleicht noch Seftan, sein Lemakknecht, können sich in Reichweite von Kumis Zähnen wagen.«
Mit diesem gut gemeinten Hinweis klopfte Yehsir Yonathan auf die Schulter und ging zu den Zelten zurück.
Yonathan, jetzt wieder allein mit Kumi, schaute forschend in die großen, verschiedenfarbigen Augen, die seinen Blick unter schweren Lidern erwiderten.
Dann hatte Yonathan eine Idee. Langsam griff er in Goels Beutel, der an seinem Gürtel hing. Kumis Augen folgten jeder seiner Bewegungen. Als Yonathan die Hand wieder herauszog, lag der grün glitzernde Keim Din-Mikkiths darin.
Abwechselnd musterte er den Keim und das Lemak. Der Ausdruck in Kumis Augen schien sich zu verändern. Das hochbeinige Tier starrte abwechselnd auf das grüne, funkelnde Ding und in Yonathans Gesicht.
Yonathan wagte einen Schritt vorwärts. Beinahe scheu zog sich Kumi um dieselbe Distanz zurück. Doch nur für einen Augenblick. Die Neugier siegte und der Lemakhengst näherte sich wieder der hingehaltenen Hand. Langsam ging Yonathan auf Kumi zu und sprach zu ihm. »Na, komm schon, Kumi. Was hast du nur für einen interessanten Namen. Steh auf!, heißt er doch in der Sprache der Schöpfung, oder? Trägst du diesen Namen, weil man dich so oft bitten muss, bis du dich in Bewegung setzt?«
Und so ging es noch eine Weile weiter. Bis Yonathan endlich unmittelbar vor dem Lemak stand. Erst jetzt bemerkte er, wie groß das Tier wirklich war, obwohl es, wie Yehsir berichtet hatte, noch nicht einmal vollständig ausgewachsen war. Yonathans Kopf reichte bis zum Ansatz des Lemakhalses, der sich gerade interessiert nach unten beugte, um besser das grüne Ding zu erkennen, das da so einladend auf der Handfläche des dreisten Besuchers glitzerte. Einen Moment lang befürchtete Yonathan schon, Kumi könne mit einem einzigen Biss den Keim verschlingen und seine Hand dazu.
Aber es kam anders. In dem Augenblick, als Kumis breite Nase sanft den Keim berührte, spürte Yonathan, was in diesem großen Tier vorging. Er bemerkte Scheu, Misstrauen, Neugier und auch Verstand. Vielleicht eine instinktive Klugheit, aber eines stand fest: Kumi war nicht dumm. Er begann die weiche Schnauze des Lemaks zu streicheln, dem das offenbar gefiel.
Behaglich drückte es sich gegen die freundliche Handfläche.
»Yonathan, sieh dich vor!«
Kumis Kopf flog in die Höhe und Yonathan drehte sich um. »Wovor, Baltan? Gibt’s irgendwas Gefährliches hier?«
Der kleine Kaufmann stand mit zusammengekniffenen Augen, die Fäuste in die Hüften gestemmt, hinter Yonathan und musterte sein Lieblingsreittier misstrauisch. »Du heckst doch nicht irgendwas aus, Kumi? Erst so tun, als könntest du kein Wässerchen trüben und dann unserem Gast hier die Haare vom Kopf rupfen. Ist es das, was du vorhattest?«
Kumis Kopf stieg noch eine Handbreit höher und die bunten Augen blickten in einer Mischung aus Unschuld und Empörung auf den Herrn herab.
Eine Weile starrten Herr und Lemak sich bewegungslos an. Schon wollte Yonathan sich einmischen, als Baltan dem vorwurfsvollen Blick aus wich und beschwichtigend sagte: »Nun gut, vielleicht habe ich mich geirrt, und du hast mit deinem ausgefallenen Geschmack einen neuen Freund gefunden.«
»Aber er ist doch ein sehr liebes Tier«, sagte Yonathan.
»Nun, mit dieser Meinung stehst du ziemlich allein auf weiter Flur, mein Junge. Ich hatte schon Schlimmstes befürchtet, als Yehsir mir erzählte, dass du hier bei Kumi bist.«
Allerdings fragte sich Yonathan jetzt, einige Tage später, ob der alte Fuchs nicht von vornherein geplant hatte ihm Kumi als Reittier zu überlassen. Vermutlich hatte Baltan nur vorgehabt Yonathan langsam, unter Aufbietung all seines guten Einflusses, an das weiße Lemak heranzuführen. Und jetzt war alles ganz anders gekommen: Yonathan und Kumi hatten die Angelegenheit einfach selbst in die Hand genommen – und das in kürzester Zeit.
Trotzdem zweifelte Yonathan noch immer, ob es ein so guter Einfall gewesen war, ein Lemak für ihn auszusuchen. Er saß zwar erst seit einem Tag auf dem gut gepolsterten Reitsitz, aber er fürchtete, zum ersten Mal in seinem Leben seekrank zu werden. Der Sessel oder Schaukelstuhl, den er am Morgen mit Mühe über Kumis Rückenhöcker gestülpt hatte, besaß nämlich nicht sehr viel Ähnlichkeit mit einem Pferdesattel. Dort
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