Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters
saß man breitbeinig und konnte das Tier jederzeit mit einem kräftigen Druck der Knie oder einem leisen Wink der Fersen in die gewünschte Richtung lenken. Doch auf dem Rücken eines Lemaks sah man unentwegt auf die eigenen Beine, wie eine ständige Mahnung sich vielleicht doch lieber der von Geburt an vertrauten Gehhilfen zu bedienen, als sich dem tückischen Willen eines Lemaks zu unterwerfen.
Aber was nützte all das Hadern? Wenn Yonathan nicht auf einem Packpferd reiten wollte, dann musste er wohl oder übel mit einem schwankenden Lemaksitz vorlieb nehmen. Immerhin hatte sich Kumi während der zurückliegenden Meilen als sehr entgegenkommend erwiesen – der weiße Lemakhengst hatte weder gespuckt noch gebissen.
Nach der Trennung von Baltans Gruppe bewegte sich die kleine Karawane unter Yehsirs Führung weiter durch die Auenlandschaft des Cedan. Yonathan empfand diesen Abschnitt vielleicht als den schönsten seiner bisherigen Reise. Er liebte zwar auch das Meer, aber das hatte sich bisher eher als ungnädig erwiesen. Das Verborgene Land war faszinierend gewesen, aber meistens auch ebenso nass. Auch das bunte, niemals rastende Treiben Cedanors hatte ihm viele neue Eindrücke vermittelt, aber der Arrest im Palast des Kaisers lag auf dieser Erinnerung wie Magendrücken nach einem zu üppigen Mahl.
Hier, wo sich zur Mittagszeit die goldenen Kettfäden der Sonnenstrahlen mit den Schussfäden der vom Winter gelichteten Baumkronen zu einem bezaubernden, farbenprächtigen Tuch verwoben, spürte er Zuversicht und Mut. Was auch kommen würde, er wollte sich durch nichts von seiner Aufgabe abbringen lassen.
Selbst nicht von dem Schwanken auf Kumis Rücken.
Yonathan blickte missgelaunt nach unten auf die tellerförmigen Füße des weißen Lemaks, die Quelle des stetigen Schaukelns.
»Geht es dir gut, Yonathan?«, riss Gimbars Stimme ihn aus seinen Betrachtungen.
»O ja, danke. Ich habe nur eben Kumis Beine beobachtet. Er läuft ganz anders als Pferde oder Esel.«
Gimbar lachte. »Pferde laufen im Kreuzschritt. Sie setzen ihre Hufe immer über kreuz auf. Lemaks dagegen sind Passgänger. Sie setzen immer die Hufe auf einer Seite gleichzeitig auf. Das erfordert vom Reiter etwas Seetüchtigkeit.«
»Du kennst dich wohl in allem aus, oder?«
»Mein Vater ist ein gescheiter Mann. Er hat mir viel beigebracht. Außerdem habe ich in meiner weniger ruhmreichen Zeit an der Seite Doldans nicht nur das Meer kennen gelernt. Wenn es den Piraten schlecht ging, haben sie auch schon mal ein Dorf überfallen.«
»Bist du froh, dass diese Zeit vorüber ist?«
»Yo würde sagen: unheimlich froh! Mir scheint, an deiner Seite zu reiten ist eine wunderbare Aufgabe und befriedigender, als sich mit feisten Händlern rumzuärgern, die ihre Waren nicht herausgeben wollen.«
»Du bist unverbesserlich!« Yonathan freute sich einen solchen Freund bei sich zu wissen. Gimbar hatte sich während der zurückliegenden Wochen nicht nur einmal als ein zuverlässiger Gefährte erwiesen.
Als der Abend dem Tageslicht ein purpurnes Bett bereitete, alle Reit-und Lasttiere versorgt waren und die Gefährten an einem rauchlosen Feuer aus trockenem Holz saßen, erklärte der Karawanenführer: »Morgen werden wir die Pilgerstraße nach Süden hin überschreiten. Wenn dieser Ason, von dem ihr erzählt habt, euch wirklich noch sucht, dann wird es Zeit, einen neuen Weg einzuschlagen. Jeder, der uns sucht, wird es hier, in der Nähe der Straße tun. In direkter Richtung auf die Mara zu wird uns kaum jemand vermuten.«
Allein die Erwähnung des verfluchten Landes dämpfte die Stimmung. An diesem Abend besprach man nur noch das Wichtigste. Bald lagen alle dicht am Feuer, eng in ihre Decken gewickelt, und der noch immer sehr helle Mond beschien die müden Reisenden in ihrem Schlummer.
Yonathan wälzte sich hin und her, bekam jede Wachablösung mit und sank erst in einen unruhigen Schlummer, als die Nacht fast schon vorüber war. Auch diese kurze Ruhe hatte bald ein Ende.
Als das erste Grau des Morgens sich im fernen Osten zeigte, stand Yonathan auf, wickelte sich in Din-Mikkiths grünen Umhang, griff nach dem Stab Haschevet und gesellte sich zu Felin. Der Prinz hatte die letzte Wache übernommen und saß etwas abseits auf einem umgefallenen Baum. Er war in die Betrachtung Bar-Schevets versunken, die Augen auf das lange Schwert geheftet, das quer über seinen Schenkeln lag. Jetzt hob er den Kopf und begrüßte Yonathan mit einem unerforschlichen Blick. »Du
Weitere Kostenlose Bücher