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Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters

Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters

Titel: Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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einschlagen. Der höchste Punkt auf dieser Route dürfte etwa tausend Meilen oberhalb vom Garten der Weisheit liegen – nur viel weiter westlich natürlich. Das heißt, im Vergleich zu unserer Route muss man einen Umweg von ungefähr fünfhundert Meilen in Kauf nehmen.«
    »Einen Umweg, den seit zweitausend Jahren jeder Reisende gerne auf sich nimmt«, merkte Yehsir an.
    Yonathan wusste weshalb. »Die Mara.«
    Yehsir nickte nur.
    »Ist sie denn wirklich so schlimm, Yehsir?«
    Einen Moment lang starrte der Karawanenführer vor sich hin. Er überlegte wohl, ob sich eine Antwort lohne. Dann meinte er kurz: »Wartet’s ab. Heute noch lagern wir in der lebenden Welt. Morgen früh werden wir die Mara betreten.«
    Alle Aussagen Yehsirs zur Wüste Mara hatten eines gemeinsam: Jeder verspürte das Bedürfnis das Thema zu wechseln. So auch Yonathan.
    »Dieses Tal hier ist sehr schön – so grün, und es duftet so angenehm. Was sind das für Bäume, die sogar im Winter alle ihre Blätter behalten?«
    »Es sind Myrten«, erklärte Felin.
    »Myrten?«, wiederholte Yonathan langsam. »Die gibt’s bei uns in Kitvar bestimmt nicht. Ich dachte immer, das seien Sträucher, aus denen man Parfüm für die feinen Damen macht.«
    »So falsch ist das gar nicht, Yonathan. Dieses Tal hier ist in vielerlei Beziehung etwas ganz Besonderes. Man nennt es Tigron, ›das Vergessene Tal‹. Wahrscheinlich verdankt es seinen Namen der Tatsache, dass heute niemand mehr hier lebt.«
    »Wieso das? Es ist doch herrlich hier und diese Myrten könnten bestimmt jeden Bauern zu einem reichen Mann machen.«
    »Ganz bestimmt«, pflichtete Felin bei. »Aber das Tal mündet direkt in die Mara und mit diesem Wildbach, der hier so munter neben uns herfließt, verhält sich ebenfalls nicht alles so, wie es sein sollte.«
    »Wieso? Was ist mit ihm?«
    »Man nennt ihn ›das Verlorene Wasser‹.«
    »Ein seltsamer Name.«
    »Warte ab bis morgen. Dann wirst du wissen, warum.«
    Felin lenkte das Gespräch auf ebenere Bahnen zurück. »Die Myrten hier werden alle zwischen zwanzig und dreißig Fuß hoch. Das ist außergewöhnlich, denn normalerweise erreichen sie nur eine Höhe von vielleicht sechs oder acht Fuß.«
    Die Pflanzen erfüllten das ganze Tal mit ihrem Duft.
    »Dort werden wir das Lager aufschlagen«, warf Yehsir ein.
    Der Ort, auf den der Karawanenführers hinwies, war eine windgeschützte Senke, die vorn durch hohe Myrtenbäume und von drei Seiten durch den grauen Granit der Berge begrenzt wurde. Selbst das Verlorene Wasser war so gefällig, in unmittelbarer Nähe des Lagerplatzes entlangzurauschen. Ein idealer Platz zum Rasten also.
    Als alle Tiere versorgt waren und das Abendessen aus Fladenbrot, Trockenfleisch und Käse verspeist war, gab Yehsir die letzten Anweisungen für den kommenden Tag.
    »Morgen werden wir früh aufstehen. Zwei von euch werden trockenes Brennholz sammeln. In der Wüste werden wir kaum welches finden. Wir müssen auch noch einmal alle Wasserschläuche aus dem Bach auffüllen. Zwei Drittel davon werden mit Pas versetzt. Das ist ein Kraut, das die Fäule von dem Wasser fern hält…«
    »Und das furchtbar bitter ist«, ergänzte Felin gleichmütig.
    »Besser bitter als tot«, versetzte Yehsir und beschloss seinen Tag mit Schweigen.
    Bitter, das war auch die Bedeutung des Namens Mara.
    Mit den ersten Strahlen der aufgehenden Sonne setzte die Karawane sich in Bewegung. Alle Wasserschläuche waren prall gefüllt. Trockene Myrtenzweige türmten sich in dicken Bündeln auf den Rücken der Packpferde.
    »Dort«, sagte Yehsir nach einer Weile und deutete den Lauf des Verlorenen Wassers entlang.
    Was Yonathan sah, jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Das Grün des Myrtentals wurde von einer kalten, schmutzig grauen Linie jäh abgeschnitten. Selbst die rötlichen Flammen der aufgehenden Sonne konnten dem Anblick kaum Wärme verleihen. Es sah aus, als hätte ein Maler kurzerhand sein halb vollendetes Werk in die Ecke gestellt, um es nie mehr anzurühren.
    Das unheimlichste an diesem Bild war jedoch das Verschwinden des Wassers. Zuerst glaubte Yonathan, der Wildbach würde in der Ferne hinter einer Bodenwelle verschwinden, dort vielleicht seitwärts abschwenken, um sich nach Süden oder Norden zu wenden. Aber dem war nicht so.
    Als die Karawane an der Grenze zur Mara stand, konnte niemand mehr die Tatsachen leugnen: Der reißende Wildbach verschwand einfach im Boden. Nicht dass er einen breiten Tümpel bildete, in dem das Wasser

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