Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters
Garten?« Jetzt staunte Yonathan doch. Aber Felin musste Recht haben. So viel Leben in einem toten Land – nur die Oase mit dem Namen Ras, das »Geheimnis«, konnte dieses Wunder erklären. In ganz Neschan erzählte man sich Geschichten von diesem Garten, dessen Standort ein ewiges Geheimnis war. In schillernden Farben besangen alte Lieder diesen Garten, der immer dort erschien, wo sich die Diener Yehwohs in auswegloser Lage befanden, immer dann auftauchte, wenn ihre Not am größten war. Viele Legenden unterschiedlichster Stämme, an weit voneinander entfernten Orten, sprachen von dieser außergewöhnlichen Hilfe, die Yehwoh seinen Treuen angedeihen ließ. So hatte Ras auch seinen Beinamen erhalten: der Wandernde Garten.
Das provisorische Lager war schnell abgebrochen. Sogar die ausgelaugten Tiere witterten jetzt die nahe Oase und waren kaum noch zu bändigen. Die kleine Karawane kroch mühsam, aber beflügelt über die Düne, die sie von dem Wandernden Garten trennte. Sobald das erste Grün in Sicht kam, mussten die Reiter das wenige, was ihnen noch an Kraft geblieben war, aufbieten, um einen kopflosen Sturmlauf der Tiere in die nahe liegenden Bäume mit ihren tief hängenden Ästen zu verhindern.
Der gezügelte, doch gleichwohl forsche Ritt führte vorbei an niedrigem Ginster in einen Akazienwald hinein. Schon bald traf man auf einen munter vor sich hin gurgelnden Bach, dersich durch den jähen Überfall einer Horde Verrückter und deren ausschweifende Trinkgewohnheiten nicht aus seiner gewohnten Unruhe bringen ließ. Nachdem sie sich die Bäuche bis zum Platzen gefüllt hatten, nachdem sie ausgiebig gebadet und sich von Staub und Sand befreit hatten, fragte Yonathan: »Werden wir hier die Nacht verbringen?«
»Ich denke, wir könnten gut noch ein Stück in den Garten hineinreiten«, meinte Felin.
»Schließlich kommt man nicht alle Tage in den Wandernden Garten«, bemerkte Gimbar. »Ich würde auch gern noch ein wenig mehr davon sehen.«
»Warum nicht«, stimmte Yehsir zu. »Am besten, wir folgen einfach diesem Wasserlauf hier. Seht ihr?« Er deutete nach Osten. »Der Bach scheint ohnehin mitten in das Herz des Gartens zu fließen.«
Mit zufriedenen Reit-und Packtieren setzten sie ihren Weg fort.
Je tiefer man in die Oase vorstieß, desto wundersamer mutete das an, was sich den Betrachtern offenbarte. Ras war nicht einfach nur ein Fleckchen Grün in einem weiten Ödland, wie es in anderen Wüstengebieten immer mal wieder anzutreffen ist. Nein, der Wandernde Garten hielt eine Pflanzenvielfalt bereit, die jeden Fachkundigen in tiefste Verwirrung stürzen musste. Zum Glück waren die eben erst vor dem Verdursten Geretteten – in derlei Dingen nicht so beschlagen. Sie begnügten sich damit, das Wunder mit offenen Mündern und Augen zu bestaunen.
»Die meisten dieser Bäume habe ich noch nie gesehen«, musste Yonathan zugeben.
»Man müsste schon weit rumgekommen sein, um das Gegenteil zu behaupten«, erklärte der weit gereiste Karawanenführer. »Auch ich kenne viele dieser Pflanzen nicht. Das merkwürdige ist, dass sie alle nebeneinander wachsen, obwohl sie sonst nur in weit voneinander entfernten Ländern gedeihen.«
Tatsächlich wuchsen hier Bäume unterschiedlichster Herkunft eng beieinander, aber darüber hinaus entdeckten die staunenden Besucher noch andere Merkwürdigkeiten. Einmal passierten sie ein Wäldchen, in dem Ahorn in leuchtendem Rot, Eichen in warmen Rosttönen sowie Ulmen und Linden in schillerndem Gelb und Orange standen – in diesem Waldstück herrschte der Herbst! Als sie am Fuß des Berges entlangritten, dessen schneebedeckte Kuppe sie schon von weitem erspäht hatten, entdeckten sie zu ihrem Erstaunen eine große Gruppe winterkahler Lärchen. Wenig später erreichten sie ein Gebiet, das an eine herrlich duftende, saftig grüne Frühlingswiese grenzte, die mit weiß blühenden Kirsch-, Apfel-und Birnbäumen übersät sowie mit rotem Mohn, blau leuchtenden Kornblumen und weiß-gelben Margeriten gesprenkelt war.
Und immer wieder verblüffte die Vielfältigkeit, die erstaunliche Eintracht, mit der hier Pflanzen aus unterschiedlichsten Lebensräumen in unmittelbarer Nachbarschaft gediehen. Es gab Laubbäume in mannigfaltiger Art: Maulbeer-und Mahagonibäume, Esche und Eukalyptus, Tamariske und Trompetenbaum. Ebenso Nadelbäume: Zeder und Zirbel, Wacholder und Waldföhre, Schierlingstanne und Sumpfzypresse. Eine bunte Mischung von Nussbäumen: Walnussbaum und Kokospalme, Muskatbaum und
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