Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters
zu befreien. Noch bevor die Sonne ihren höchsten Punkt erreicht hatte, lagen die ausgedörrten, völlig erschöpften Körper von Mensch und Tier im heißen Sand. Die wenigen Planen, die den Sandsturm überlebt hatten, waren höchst dürftig zu einem hinfälligen Sonnenschutz aufgebaut worden.
Gimbar kehrte gerade von einer hohen Sanddüne zurück. »Nichts«, fasste er das Ergebnis seiner Erkundungen zusammen. »Im Süden nur Wüste und nördlich und östlich ebenfalls nichts.«
»Aber müssten wir dem Cedan nicht schon unheimlich nahe sein?«, erkundigte sich Yomi verzweifelt.
»Wir sind in den letzten beiden Tagen langsamer vorangekommen als gewöhnlich«, gab Yehsir zu bedenken.
»Hat denn Kumi noch immer kein Wasser gewittert?«
»Sieh dir unser Lemak doch selbst an, Yo. Kumi liegt nur da und kaut vor sich hin.«
Yonathan seufzte. Die Freunde hatten tatsächlich einiges auszuhalten in seiner Gesellschaft. Selbst Gurgi hing schlaff in Haschevets leerem Köcher.
»Wir werden entweder in der kommenden Nacht erfrieren, so geschwächt, wie wir sind, oder morgen verdursten«, meinte Felin in seiner gelegentlich etwas zu sachlichen Art. Leider irrte der Prinz nur selten.
Aber damit wollte Yonathan sich trotzdem nicht abfinden. Was hatte Benel in den Bochim zu ihm gesagt? Er würde noch herausfinden, was die vollkommene Liebe sei. Wie konnte er das, wenn er hier in der Wüste verdurstete?
Plötzlich bemächtigte sich seiner ein merkwürdiges Gefühl. Wie sich Wasser langsam in ein Tuch saugt, so ergriff diese unerklärliche Wahrnehmung allmählich von allen seinen Sinnen Besitz und überschwemmte ihn warm und wohlig. Es war wie ein heißes Vollbad in einer kalten Winternacht. »Gimbar«, stammelte Yonathan. Er blinzelte, und vor seinen Augen tanzten bunte Farbflecken.
»Was ist, Yonathan? Ist dir nicht gut?«
»Geh bitte noch einmal auf die Düne und schau, ob du nicht doch etwas sehen kannst.«
Gimbar warf Felin einen besorgten Blick zu. »Aber Yonathan, da ist nichts. Ich habe alles ganz genau abgesucht. Um uns herum ist wirklich nichts als Wüstensand.«
»Irgendetwas hat sich verändert. Ich spüre es genau«, beharrte Yonathan. »Einen Versuch ist es doch wert, oder?«
Gimbar nickte. Er liebte seinen Lebensretter zu sehr, um ihm eine Bitte abzuschlagen. Schwerfällig stellte er sich auf die Beine und stapfte aufs Neue den sanft ansteigenden Sandhügel empor. Dort schaute er sich um. Er suchte wohl den Cedan, fand ihn aber nicht. Schon wollte er kehrtmachen und die Düne wieder herabsteigen, als er sich doch noch einmal umdrehte und nach Süden spähte.
So verharrte er eine Weile regungslos und die Gefährten am Fuß des ockergelben Hügels glaubten schon, der Hitzschlag habe ihn getroffen. Der geschmeidige Körper des kleinen Mannes war steif wie ein Brett, die Augen hatten sich irgendwo in der Weite der Wüste festgehakt. Doch dann kam plötzlich wieder Leben in ihn. »Das gibt’s doch nicht!«, hörte man ihn ausrufen. Die Stimme drang leise, vom Sand seltsam gedämpft zu Yonathan, Yomi, Felin und Yehsir herab.
»Siehst du es auch?«, rief Yonathan zu Gimbar hinauf. Dann stand er auf und sagte vergnügt: »Dann lasst uns mal unser Nachtlager beziehen!«
Gimbar kam jauchzend und jubelnd den Hang herunter. Er stolperte, stürzte, rollte ein Stück und raffte sich wieder auf.
»Was soll das alles?«, fragte Yehsir ernst. Ihm war nicht nach Scherzen zumute.
»Eine Oase!«, rief Gimbar und überschlug sich in Worten genauso, wie er es im Sand getan hatte. »Ein Garten! Büsche, Bäume, Grün… Wasser!«
»Der Arme«, murmelte Yomi.
»Aber schaut es euch doch selbst an! Im Süden liegt ein großer, grüner Garten – riesig groß!«
Und dann sahen sie es. Tatsächlich erstreckte sich, nur eine halbe Meile vom südlichen Fuß der großen Düne entfernt, eine Oase riesigen Ausmaßes in drei Himmelsrichtungen. Nach Osten und Westen hin konnte man gerade noch die Grenzen des Gartens erkennen, im Süden gab es nur ein wallendes grünes Meer von Bäumen und anderen Pflanzen. Es gab hier und da auch leuchtend rote und gelbe Flecken in dem dichten Gewirk aus Baumkronen. An einer Stelle ragte ein Berg empor, auf dem es Schnee zu geben schien.
»Das ist nicht zu fassen«, stammelte Gimbar immer wieder und Yomi widersprach ihm diesmal nicht.
»Ich denke, wir haben da etwas vor uns, das nur wenige Menschen jemals schauen durften«, meinte Felin feierlich.
»Was meinst du?«
»Ras.«
»Der Wandernde
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