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Nesser, Hakan

Nesser, Hakan

Titel: Nesser, Hakan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Perspektive des Gaertners
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in der Bibliothek vor mir habe.
    Dann,
als ich die Barrow Street
überquere und einen Blick nach links werfe, entdecke ich sie. Winnie, meine
Ehefrau in guten wie in schlechten Zeiten, auch sie ist auf dem Weg über die Barrow, aber in entgegengesetzter Richtung und auf der
Parallelstraße Bedford. Höchstens
fünfzig Meter von mir entfernt, nein, sicher nicht mehr als vierzig; sie geht
mit schnellem Schritt, als wäre sie auf dem Weg zu etwas Wichtigem und ein
wenig verspätet. Sie trägt ihr kurzes gelbes Kleid, und sie verschwindet nach
nur wenigen Sekunden hinter einem Müllwagen und einer Häuserecke.
    Ich
bleibe stehen, zögere einen Moment lang. Dann eile ich hinter ihr her, doch als
ich die Bedford erreiche
und nach ihr Ausschau halte, ist sie bereits verschwunden. Ich gehe weiter die
Christopher Street hinauf, schaue nach rechts und nach links, aber sie ist
nirgends zu finden.
    Nirgends.
Ich zucke mit den Schultern und gehe zurück zu meiner Bibliothek in der Leroy.
     
    Ein
paar Stunden später kehre ich heim, und sie steht unter der Dusche. Ihr gelbes
Kleid liegt mit Slip und BH auf dem Bett. Als sie ins Zimmer kommt, nackt bis
auf ein Handtuch, das sie um die Haare gewickelt hat, erzähle ich ihr, dass ich
sie gegen Mittag in der Bedford gesehen
habe.
    »Bedford?«,
fragt sie. »Ich war heute nicht in der Bedford.«
    Mir
scheint, als hätte sie eine halbe Sekunde mit der Antwort gezögert, aber das
kann auch Einbildung sein.
    »Bist
du dir da ganz sicher?«, frage ich.
    »Natürlich
bin ich mir sicher«, erwidert sie. »Ich habe am Union Square eingekauft,
ansonsten war ich den ganzen Tag zu Hause. Ich habe versucht, dieses Gesicht zu
malen, aber es geht nicht ohne deine Hilfe.«
    »Es
tut mir leid«, sage ich. »Dann muss ich
mich geirrt haben.«
    Aber
ich bin nicht überzeugt. Und sie ist nicht wieder auf ihre Behauptung von
gestern zurückgekommen. Dass ihr klar sei, dass Sarah noch am Leben ist. Ich
bin eigentlich dankbar dafür, aber es ist schon merkwürdig, dass sie es nur ein
einziges Mal erwähnt hat, ohne weitere Erklärungen dazu abzugeben.
    Ich
frage mich, ob es an der Zeit ist, Kontakt mit Doktor Vargas aufzunehmen, beschließe aber, noch eine Weile damit zu
warten.
    Sie
sitzt auf einem Stuhl und reibt sich ihr Haar trocken. Sie ist immer noch
nackt, und ich spüre eine heftige Sehnsucht nach ihr.
     
    8
     
    Es
dauerte fast zwei Monate, bis wir uns wiedersahen.
    Wir
telefonierten nicht, wir schickten keine Briefe oder Emails. Währenddessen fand
die Jahrhundertwende statt, ohne dass es zu irgendwelchen
Millennium-Bug-Problemen gekommen wäre. Die Computer konnten immer noch
benutzt werden, ich hatte wie die meisten in meiner Branche aus Sicherheitsgründen
jedes Wort auf Papier ausgedruckt. Irgendwann im Januar warf ich ungefähr
zweitausend Seiten in den Müll, später habe ich mich gefragt, wie viel Wald
dieses blöde Gerede vom totalen Computercrash wohl gekostet hat. Und wie viel
Geld diese falschen Sicherheitsexperten eingeheimst haben.
    Mitte
Januar verbrachte ich eine gute Woche in der Hütte meines Verlegers in
Görabergen. Ich fuhr Ski, schrieb, las und trank Glühwein in meiner Einsamkeit,
und genau wie im Dezember war sie in meinen Gedanken. Nicht die ganze Zeit,
aber ab und zu, das will ich gar nicht leugnen.
    Mein
Verleger, Pieter Wachsen, kam zu mir und leistete mir am zweiten Wochenende
Gesellschaft. Wir unternahmen lange Skitouren, wir aßen und tranken ausgiebig
und gut, und wir diskutierten das eine oder andere, mein nächstes Buch betreffend,
das im Herbst herauskommen sollte. Er ist gut und gerne zwanzig Jahre älter als
ich, aber unsere Zusammenarbeit war immer ehrlich und vertrauensvoll. Manchmal
kommt mir der Gedanke, er verstünde meine Bücher besser als ich selbst.
    Am
Sonntagnachmittag nahmen wir uns ein Taxi zum Bahnhof von Gernten, der
nächsten Ortschaft, ungefähr dreißig Kilometer von der Hütte entfernt. Da es
Sonntagabend war, war der Zug voll mit Reisenden, die das Wochenende für alle
möglichen Freiluftaktivitäten genutzt hatten, aber wir hatten Plätze reserviert
und setzten uns gegenüber von zwei Frauen, die bereits in Zeitschriften und
Bücher versunken waren, als wir einstiegen.
    Die
eine von ihnen war Winnie Mason.
    Es
dauerte ein paar Sekunden, bis es mir klar wurde, sie schaute keinen Augenblick
von ihrem Buch auf. Vielleicht hatte sie es aber auch nur ganz flüchtig getan,
so dass sie mich nicht wiedererkannt hatte. Ich saß ihr direkt

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