Nestroy-Jux: Ein Wiener Kaffeehauskrimi (German Edition)
verdächtig vorkam. Spielleute,
fahrendes Volk, Mimen, Darsteller, Akteure – wie man sie auch bezeichnete, es kam
immer das Gleiche dabei heraus: Es waren Leute, die für den Großteil ihres Lebens
große Anstrengungen darauf verwandten, in die Rolle eines anderen zu schlüpfen.
Man wusste nie, wann sie beliebten, sie selbst zu sein und wann nicht. Sie konnten
einem jederzeit etwas vorgaukeln. Es war ihr Beruf, zu täuschen. Oft gelang ihnen
diese Täuschung so perfekt, dass man sie nur als diejenigen kannte, welche sie im
Theater oder auf der Leinwand verkörperten.
Natürlich,
die Mitglieder des kleinen Grüppchens, das im Café Heller beim letzten Fenster um
zwei Tische herum saß und heftig diskutierte, waren Amateure, die nur zeitweise
ins Theaterleben hineinschnupperten. Das tat allerdings nichts zur Sache. Bei Amateuren
musste man sogar befürchten, dass sie ihre Aufgabe zu ernst nahmen. Ein Profi war
sich bei aller Scharade doch bewusst, dass es sich nur um eine Scharade handelte.
Bei einem Amateur konnte es schon einmal vorkommen, dass er so sehr in seiner Rolle
aufging, dass er gar nicht mehr aus ihr herausfand. Durfte man einem solchen Fanatiker
trauen, wenn er auf der Bühne mit gezücktem Messer auf einen zulief? Würde er sich
im entscheidenden Augenblick vergegenwärtigen, dass er Teil eines Spiels war und
die Attacke, wenngleich sie echt aussehen musste, nur verhalten und ohne Folgen
für den Mitspieler durchgeführt werden durfte? Leopold hatte da so seine Zweifel.
Er witterte in dieser Ballung von Emotionen jederzeit die Möglichkeit für eine Gewalttat.
Selbst sein
Freund Thomas Korber verwandelte sich in den Zeiten, wo er mit der Truppe spielte,
in einen anderen Menschen. Wenn er eine Rolle auswendig lernte, begann er zuweilen
im Kaffeehaus laut zu deklamieren, sodass manch ein Gast sich irritiert nach ihm
umdrehte und man ihn dezent darauf aufmerksam machen musste, dass er sich im Augenblick
nicht auf der Bühne befand. Seine Augen funkelten dann geradezu besorgniserregend.
Auch bei ihm hieß es also, vorsichtig sein.
Keine Frage,
dass Leopold die Treffen der Schauspieler des ›Hochlöblichen Floridsdorfer Welttheaters‹
nach den Proben im Kaffeehaus mit wenig Enthusiasmus verfolgte. Am meisten daran
störte ihn jedoch der Gefallen, den seine Chefin mittlerweile an dem Theatertreiben
fand. Sie wollte das Kaffeehaus renovieren – schlimm genug. Doch war es außerdem
ihr Plan, dem Café Heller durch künstlerische Darbietungen ein einzigartiges kulturelles
Flair zu verleihen. Also scharwenzelte sie munter zu den Akteuren und biederte sich
bei ihnen an, wann immer sich die Gelegenheit dazu bot. Sie erkundigte sich dann,
ob nicht im Herbst eine szenische Lesung oder sonst ein Vortrag möglich wäre. Und
immer wollte sie auch wissen, wann denn Herr Walters endlich einmal mitkäme, denn
Herr Walters hätte sicher eine bekannte Schauspielgröße für einen Abend im Heller
an der Hand. So ging das die ganze Zeit, und Leopolds einziger Trost war, dass sich
die Truppe heute schlecht gelaunt und kurz angebunden zeigte. »Lassen Sie uns bitte
heute mit Herrn Walters in Frieden«, hörte er Freddie Glomser sagen. »Auf den sind
wir momentan alle nicht gut zu sprechen.«
Walters’
Selbstherrlichkeit, die er am Nachmittag zur Schau gestellt hatte, nagte immer noch
an den Gemütern. Aus dem üblichen fröhlichen Beisammensein war eine richtige Krisensitzung
geworden. Auch jene Ensemblemitglieder, die bei dem Eklat nicht dabei gewesen waren,
hatten sich eingefunden: die Schwestern Simone und Elfriede Bachmann (Madame Knorr
und Frau von Fischer), die Schülerin Anette Riedl (Mündel Marie), sowie Korbers
Kollegin Ilona Patzak (Fräulein von Blumenblatt). Alle hatte man verständigt, alle
wollten an der Debatte teilnehmen.
Erneut war
es Sonja Friedl, die sich für Haslinger stark machte: »Eine echte Gemeinheit, das
mit dem Toni«, protestierte sie.
»Vielleicht
überlegt Walters sich die Sache bis morgen doch noch einmal«, stellte Peter Pribil
in Aussicht.
»Da würde
ich mir keine allzu großen Hoffnungen machen«, schränkte Freddie Glomser sofort
ein. »Bauchgefühl.«
»Heißt das,
dass ich jetzt tatsächlich nicht mehr mitspielen darf?«, beschwerte sich Toni Haslinger,
der bis jetzt ruhig dagesessen war. »Wegen so einer Kleinigkeit? Das ist doch bescheuert!
Echt krank!« Er trank dabei schon recht routiniert von seinem weißen Spritzer. Niemand,
nicht einmal den Lehrern, war in der Aufregung
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