Netha-Chrome
Aber diese schien neuerdings kooperationswillig zu sein. Was so ein Blackout nicht alles anrichten konnte.
„Ich bin über die Mauer gesprungen“, antwortete sie trocken. „War ganz einfach.“
Ich lupfte eine Augenbraue, obwohl mich Sydney nicht sehen konnte, da ich keine Lust hatte, vor einer der unzähligen verspiegelten Glasfassaden stehenzubleiben.
„Versuchen Sie gerade etwa, witzig zu sein?“, knurrte ich. „Wenn einer hier dämliche und unlustige Bemerkungen machen darf, dann bin ich das.“ Sydney neigte den Kopf zur Seite.
„Sie sind gereizt“, konstatierte sie kühl. „Was ist passiert?“
Sie kannte mich anscheinend besser, als ich dachte. Ich atmete tief aus.
„Das erkläre ich Ihnen am besten nicht über den Stream. Ich bin gerade auf dem Weg, um mich mit Toluca zu treffen. Sie sollten auch kommen.“
„Sie treffen sich mit dem Regulat? Das ging ja schnell.“ Ich schüttelte den Kopf.
„Ich habe nicht ihn gefunden, sondern er mich. Sydney, hier läuft eine ganz schräge Scheiße ab. Soldaten des Protektorates nehmen alle systembekannten Hacker fest und…“
„Das weiß ich“, fiel mir die Agentin ins Wort. „Der MSS hat die entsprechenden Befehle bereits erhalten.“ Erneut fuhr mir es mir eiskalt den Rücken hinunter.
„Wieso zum Teufel haben Sie mir das nicht schon früher mitgeteilt, Sydney?“
„Wieso sollte ich das tun? Sie arbeiten für uns, Arkansas. Auch Sie müssten entsprechende Befehle über den Stream erhalten haben.“
Ich kniff die Augen zusammen. Ich hatte alle gleichgearteten Meldungen, die BAS durch den Stream empfing, vor langer Zeit als unwichtig markiert. Was interessierten mich auch Befehle, die der MSS vom Protektorat erhielt? Ich war Tracer, kein Agent. Einmal im Monat überflog ich alles, was mich nur halbwegs interessierte, nahm es zur Kenntnis und ließ es dann durch meinen Nano-Boss löschen.
„Die haben Tijuana verhaftet“, presste ich durch die zusammengebissenen Zähne.
„Das tut mir leid“, erwiderte die Agentin emotionslos. „Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass sie schnell wieder auf freien Fuß kommen wird. Vorausgesetzt natürlich, sie hat mit der Sache nichts zu tun.“ Mir fiel die Kinnlade fast bis zum Boden. Ich konnte nicht glauben, wie emotionslos und kalt sie reagierte. Gut, sie war eine Maschine, aber Tijuana und sie waren so etwas wie Freundinnen. Und ich wusste, dass Sydney sehr wohl in der Lage war, Emotionen zu zeigen. Das hatte sie mehr als einmal unter Beweis gestellt. War ihr das Schicksal ihrer Freundin etwa so egal?
„Sie…“, ich ballte meine Fäuste und suchte nach Worten, fand aber nicht die richtigen, um meine momentane Emotionslage zu beschreiben. „Sie hören sich an wie Arizona. Was ist nur plötzlich mit allen los?“
„Sie reagieren über“, antwortete Sydney sachlich. „Haben Sie vergessen, dass Tijuana schon öfters verhaftet wurde? Dass sogar ich sie schon verhaften wollte? Sie ist sich der Gefährlichkeit ihres sogenannten Hobbies, oder sollte ich sagen, ihrer sogenannten Bestimmung, durchaus bewusst. Und sie war sich dem Risiko, eines Tages dafür verhaftet zu werden, schon immer bewusst.“
Ich schüttelte fassungslos den Kopf. War ich eigentlich der Einzige, der das Ganze für himmelschreiendes Unrecht hielt? Fast schien es so.
„Wissen Sie was? Vergessen Sie es einfach. Ich bin jetzt auf dem Weg zum Matilda`s. Wir treffen uns dort.“
„Gut“, sagte die Agentin knapp. „Ich habe sehr interessante Informationen erhalten, die ich Ihnen ohnehin zukommen lassen wollte.“
Ich zischte leise, ohne dass Sydney es hören konnte. Was nützten mir jetzt noch irgendwelche Informationen? Das Protektorat zog gerade sein eigenes Ding durch, ohne auf irgendwelche Fortschritte unserer Ermittlungen zu warten. Unser Auftrag erschien mir inzwischen nicht mehr als eine Alibi-Ermittlung zu sein. Das Protektorat hatte sich schon die Schuldigen rausgepickt und schwang nun die große Keule in alle Richtungen. Ob das von Erfolg gekrönt sein sollte, ließ ich mal dahingestellt. Wenn aber nach Ablauf der vorgegebenen achtundvierzig Stunden ein erneuter Blackout über die Stadt hereinbräche, wusste ich, wusste der ganze Mars, dass es ein äußerst sinnloses Unterfangen der Regierung gewesen war.
Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie dadurch die wahren Hintermänner dingfestmachten und sah in diesem überhasteten Vorgehen nur einen Sinn: Einschüchterung! Vielleicht wollten sie damit erreichen, dass
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