Nett ist die kleine Schwester von Scheiße

Gefühlen um. Er weiß und spürt: Einsamkeit geht alle etwas an – und macht sie zu seinem Lebensthema.
    Wer aber ein Lebensthema hat, hat automatisch auch eine Berufung. Charismatiker fühlen, dass sie Wichtigeres zu ihrem Thema zu sagen haben als sämtliche Lehrer, Experten und Koryphäen um sie herum. Aus dieser Überzeugung leiten sie einen natürlichen Machtanspruch ab, der auch von den sie umgebenden Menschen widerspruchslos akzeptiert wird. Ein Charismatiker weiß sehr genau, dass seine Anhänger nur durch ihn in der Lage sind, die tiefe Begeisterung für die »große Sache« zu fühlen. Dies ist aber eine gegenseitige Abhängigkeit: Denn auf der einen Seite sehnen sich die Menschen nach jemandem, der in ihnen das Feuer der Begeisterung entfacht, ihnen hilft, Sehnsucht, Trauer, Glück und Stolz zu empfinden, auf der anderen kann sich der Charismatiker nur ausleben, wenn er sich in den Gefühlen der anderen spiegeln kann.
     
Ein Charismatiker bricht Regeln
und Gesetze und gibt Hoffnung.
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    Charismatische Menschen scheinen die Kraft zu haben, das Leben und die Gesellschaft zu verändern. Ihre Anhänger stellen sie weit über sich, sie vertrauen ihnen blind. Da kann die Enttäuschung meist nicht ausbleiben. Denn kein Mensch kann, auch wenn er noch so charismatisch ist, den Hunger und die Ungerechtigkeit in der Welt abschaffen, allen Frieden und Wohlstand bringen, die Einsamkeit und das Unglück besiegen, oder was auch immer das Grundthema ist, für das er eintritt. Je höher Charismatiker aber gejubelt werden, desto tiefer ist auch ihr Fall. Ein Mann, der so etwas womöglich schon bald erleben wird, ist der US-Präsident Barack Obama.
    Erschwerend kommt hinzu, dass Menschen mit Charisma häufig versucht sind, im Dienste der guten Sache Regeln oder gar Gesetze zu brechen. Möllemann nahm sich etwa das Recht heraus, für seine politischen Ziele das Parteiengesetz zu missachten. Das Provozierende daran war aber, dass er sich dabei kaum schuldig fühlte. Die Überzeugung, dass für ihn andere Regeln gelten als für Normalsterbliche, kann einen Charismatiker zu Fall bringen, erhöht aber auch seine Ausstrahlung.
Lebensthemen charismatischer
Zeitgenossen
     
    Natürlich können ebenso Menschen mit gutem Charakter und hehren Zielen Charisma besitzen wie Menschen mit fragwürdigen Absichten. Begründer einer Sekte müssen zwangsläufig charismatisch sein, sonst könnten sie ihre Anhänger nicht überzeugen. Schwierige Lebensumstände in der Kindheit können die Ausbildung eines Lebensthemas fördern, sind aber nicht Bedingung dafür.
    Das Leben eines Charismatikers ist anstrengend und von normalen Persönlichkeiten kaum durchzuhalten. Nicht umsonst wird in der Psychologie das charismatische Wesen den narzisstischen Persönlichkeiten zugeordnet. Doch vielleicht ist das auch nur ein Ausdruck von Neid der zur Gewöhnlichkeit verurteilten Ärzte und Psychologen.
     
    Klaus Kinski ließ sich zum Beispiel durch keine äußeren Zwänge von seinem konsequenten Selbstausdruck abbringen, Marcel Reich-Ranicki machte schon früh die Literatur, die ihm selbst in den schlimmsten Stunden seines Lebens Kraft und Hoffnung gab, zu seinem Lebensinhalt. Petra Kelly widmete ihr Leben ihrer Vision einer friedlicheren Welt und der Bewahrung der Schöpfung, und Mahatma Gandhi warb für den Frieden unter den Völkern. Nelsons Mandelas Name ist untrennbar mit dem Kampf für die Aufhebung aller Rassenschranken verknüpft, L. Ron Hubbard faszinierte der Gedanke, wie man andere Menschen und sich selbst manipulieren kann, Jesus Christus predigte, zu sich selbst und zu seinen Überzeugungen zu stehen, und Theodor Herzl, der Begründer des politischen Zionismus, sehnte sich nach einer sicheren Heimat für das jüdische Volk.
     



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LIZENZ ZUR SÜNDE
    DAS PHÄNOMEN DER SCHEINMORAL.
     
    »Je ›heiliger‹ sich die Menschen geben, desto scheinheiliger sind sie.«
    Dr. Jürgen Stepien
     

Ein Stricher beschuldigt einen Mann, ihn über Jahre für Sex bezahlt zu haben, außerdem hätten er und sein Freier Drogen konsumiert. Nichts Besonderes eigentlich, nur ist der Beschuldigte Ted Haggard, einer der einflussreichsten evangelikalen Christen der USA. In seinen Predigten lobt er den Wert der Familie und wettert gegen Homosexualität. Steuerbetrüger wie Klaus Zumwinkel tragen das Bundesverdienstkreuz, die Parteimitglieder der Grünen fahren im Vergleich zum Bundesdurchschnitt die Autos mit dem höchsten Spritverbrauch und machen außerdem mehr