Nett ist die kleine Schwester von Scheiße
Flugreisen nach Übersee. Oskar Lafontaine, der Mann mit der großen Wut auf die Gier von Unternehmern und Aktionären, lebt in einer protzigen Villa. Eliot Spitzer, der ehemalige Gouverneur des US-Bundesstaates New York und leidenschaftlicher Kämpfer gegen Prostitution und Menschenhandel, wurde mit einem Callgirl erwischt. Wie in letzter Zeit ans Licht gekommen ist, wurden in vielen katholischen Schulen und Einrichtungen Kinder grausam behandelt, teilweise sogar missbraucht, und traumatisiert. Und der niederländische Politiker Pim Fortuyn wurde von einem radikalen Tierschützer ermordet.
Sind das alles nur Ausnahmen, die ein schlechtes Licht auf diejenigen werfen, die voll guten Willens und Menschenfreundlichkeit sind? Nein, denn diese Inkonsistenz hat System. Zahlreiche Studien belegen, dass Menschen, die sich öffentlich als moralisch besonders integer darstellen, eher dazu neigen, gegen genau diese Normen zu verstoßen.
Sonya Sachdeva von der Universität Chicago untersuchte diese Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit und kam zu dem Ergebnis: Menschen, die sich als moralische Wesen betrachten, spenden deutlich weniger Geld für soziale Zwecke als Menschen, die ein eher negatives Selbstbild haben.
Eine 2008 durchgeführte Untersuchung des Deutschlandfunks zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit in Sachsen ergab, dass bekennende Christen rassistischer sind und stärker zur Islamophobie neigen als Konfessionslose. Der Psychologe Daniel Effron von der Universität Stanford entdeckte vor Kurzem den »Obama-Effekt«: Die Tatsache, dass nun ein dunkelhäutiger Präsident im Weißen Haus residiert, verleitet manche Amerikaner offenbar erst recht dazu, rassistische Meinungen zu äußern. Und zwar genau diejenigen, die für Obama sind.
Aus meiner Zeit als Journalistin weiß ich, dass links-alternative Zeitungen nicht nur am wenigsten für einen Artikel zahlen, sondern außerdem noch eine schlechte Zahlungsmoral aufweisen. Jedes Mal, wenn ich einen Beitrag für ein Medium verfasst hatte, welches sich der Gesellschaftskritik in besonderem Maße verpflichtet fühlte, musste ich wochenlang hinter den Honoraren hertelefonieren.
In puncto Scheinmoral und Selbstgerechtigkeit stehen gutbürgerliche Kreise der linksliberalen Szene jedoch in nichts nach: In Hamburg wurde vor einigen Jahren eine perfide Methode entwickelt, um ein Problem zu lösen, mit welchem die Stadt seit Jahrzehnten zu kämpfen hat – die vielen Obdachlosen, die sich im und um den Hamburger Bahnhof herum aufhalten. Man begann also, den Bahnhof Tag und Nacht mit klassischer Musik zu beschallen, sodass die Obdachlosen dank Brahms und Mozart keinen Schlaf mehr finden konnten und daher den Bahnhof als Quartier mieden.
Es mag Hausfrauenpsychologie sein oder ein Naturgesetz: Überall dort, wo Menschen besonders viel Energie aufwenden, um eine idealisierte Situation zu schaffen, lauert der Abgrund. Wer sich also mit seinem gesamten Auftreten und seiner Kleidung um ein extrem sauberes Image bemüht, vor dem sollte man sich in Acht nehmen. Überkorrekt gibt sich etwa der eitle FDP-Chef Guido Westerwelle. Doch das schreckt nicht zuletzt auch deswegen so viele Menschen ab, weil sie in einer Art Ergänzungsreflex an die Seiten denken, die ihnen da wohl vorenthalten werden.
Ein Saubermann-Image macht nicht
sympathisch, sondern verdächtig!
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Einige Leute bezeichnen eine solche Ausstrahlung als »seriös«, sie glauben, dass Menschen wie Christian Wulff einen guten Charakter haben und es erstrebenswert ist, sich so zu geben wie unser derzeitiger Bundespräsident. Dabei fühlt sich jede halbwegs sensible Person in der Gegenwart von allzu perfekt erscheinenden Menschen unwohl, beispielsweise auf Hochzeiten, wo das Paar so zuvorkommend miteinander umgeht, als wenn es sich gerade erst kennengelernt hätte. Oder bei Abendgesellschaften, bei denen bei Tisch nur Ansichten geäußert werden, die unbestritten als richtig und vernünftig gelten.
Das liegt sicher auch daran, dass Menschen instinktiv spüren, dass niemand nur gut sein kann und mit jemandem, der als Verkörperung von Anstand gilt, etwas nicht stimmen kann. Jeder von uns ist hin- und hergerissen zwischen zwei Antipoden. Auf der einen Seite lockt das Dunkle, Schlechte, Faule und Eigensüchtige, auf der anderen Seite streben wir nach Güte, Anstand und Selbstlosigkeit. Wir sind Homer Simpson und sein überkorrekter Nachbar Flanders in einem.
»Das Gesetz ist der Tod.
Wenn wir gehorsam
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