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Nett ist die kleine Schwester von Scheiße

Nett ist die kleine Schwester von Scheiße

Titel: Nett ist die kleine Schwester von Scheiße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Niazi-Shahabi
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herum. Bei allem, was ich tat oder unterließ, fragte ich mich, ob Gerhard Schröder das gutheißen würde. Warum ich das machte, weiß ich nicht, denn weder kannte ich Gerhard Schröder persönlich, noch interessierte er mich besonders. Dennoch war er immer mit dabei, wenn ich abwusch, ins Bad oder zur Arbeit ging, meine Socken sortierte, außerdem stellte ich mir immer Schröder bei eben diesen Tätigkeiten vor. Das einzig Gute an dieser Unsitte war, dass ich das Ganze als erstklassigen Gesprächsbeitrag bei Dutzenden von Abendessen und Partys verwenden konnte. Mit der Abwahl Gerhard Schröders hörte dieser Tick glücklicherweise auf.
    Was auch jeder kennt und deswegen ein gutes Gesprächsthema ist, sind die Dialoge, die wir oft in Gedanken mit Menschen führen, die in Wirklichkeit niemals so lange zuhören würden: Diskussionen, in denen wir überzeugen, in denen jedes Argument sitzt und die stets damit enden, dass unser Chef, unsere Mutter, unser Vermieter oder unser Bundeskanzler zugeben müssen, dass wir recht haben.
    Wichtig bei solchen Beiträgen ist, dass die Überlegungen vollkommen zweckfrei sind: Es ist unnötig, seine mentale Kapazität an fiktive Auseinandersetzungen zu verschwenden – doch genau deswegen ist es so charmant.
Dritter Schritt
    Reden Sie über Tabus – und überlassen
Sie die Beurteilung anderen
    Ganz ohne Filterung der inneren Einfälle geht es natürlich nicht. Wer detailliert darüber berichtet, was mittags in ihm vorgegangen ist, bis er sich schließlich entschlossen hat, Bratkartoffeln mit Tiefkühlspinat zu essen, muss schon sehr gut erzählen können, um seine Gesprächspartner nicht zu langweilen. Interessant wird es, wenn Sie Themen auswählen, über die sonst nicht geredet wird. Mit anderen Worten Themen, die jeden etwas angehen und die aus dem tiefsten Inneren kommen. Wer sich also fürchtet, zum Beispiel über folgende Angelegenheiten zu plaudern, der wird niemals charmant sein:
     
    Liebe und Eifersucht, Einsamkeit und Traurigkeit, Sex und Selbstbefriedigung, Neid und Missgunst, Ekel und Widerwille, Langeweile und Selbsthass, Wut und Rachefantasien, Missgeschicke und Überforderungen.
     
    Wer aber darüber sprechen will, der sollte das auch richtig machen. Auf gar keinen Fall dürfen Sie so über sich selbst reden, wie Sie das in einer Therapiegruppe täten. Sie erhöhen Ihre Sogkraft auf Ihre Umgebung nicht, wenn Sie sagen: »Ich habe mich in letzter Zeit sehr mit meinen Neidgefühlen auseinandergesetzt und kann mir diese jetzt offener eingestehen.« Es fördert auch nicht den Nimbus als besondere Persönlichkeit, wenn Sie zugeben, dass Sie sich letztens aus heiterem Himmel schwach und klein gefühlt haben, und sich dann Beifall heischend umsehen in der Erwartung, wie bei einer Versammlung der Anonymen Alkoholiker dafür gelobt zu werden.
    Wenn Sie Geständnisse machen, dann dürfen Sie nichts beschönigen, kein Bedauern, keine Entschuldigung darf Ihren Tabubruch abfedern. Und niemals dürfen Sie schwören, dass Sie sich bessern wollen. Der Reiz Ihres Geständnisses liegt darin, dass Sie Ihr Innenleben bedingungslos dem Urteil Ihrer Zuhörer ausliefern. Wie beispielsweise eine Studentin, die zugeben musste, dass sie, während sie ihre Doktorarbeit in Soziologie schreiben sollte, bis zu zehn Stunden am Tag fernsah. Sie verkündete in dieser Zeit bei fast jedem Treffen mit Freunden: »Leute, fragt mich was, ich bin super informiert, denn ich schaue ununterbrochen fern.«
    Auf einer Party während der Frankfurter Buchmesse entzückte mich ein Literaturagent mit der detaillierten Beschreibung, wie er seinen verhassten Nachbarn foltern würde, wenn er nur dürfte. Eine Freundin gestand neulich in großer Runde ihren nicht zu erklärenden Drang, einmal mit dem dicken Streifenpolizisten, der immer in ihrem Viertel die Falschparker aufschrieb, ein Verhältnis zu beginnen, nur um sich an den entsetzten Gesichtern der Anwesenden zu erfreuen.
    Meine Mutter hatte in ihrer Pubertät Probleme mit ihrem Aussehen, besonders störte sie ihre Nase, die sie als zu groß empfand. Eines Tages entdeckte sie ein altes Tagebuch mit Skizzen von Liebesgeschichten, in denen es stets darum ging, dass junge Frauen mit großen Nasen doch noch das ersehnte Liebesglück fanden. Mit diesen Geschichten unterhielt sie dann eine Abendgesellschaft.
    Seine Schwächen zum reinen Amüsement der Anwesenden preiszugeben, lohnt sich. Sie können davon ausgehen, dass Ihr Vertrauen andere rührt und auf Ihre Seite

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