Nett ist die kleine Schwester von Scheiße
Untersuchung dieser Ausreißer erhofft man sich Erkenntnisse über die Gesetzmäßigkeiten des Gesamtphänomens wie zum Beispiel Geburtenverteilung, Schuhgrößen und eben Flugzeugabstürze.
Der Outlier, wenn es um die Anzahl von Flugzeugabstürzen geht, ist die südkoreanische Fluggesellschaft Korean Air. Flugzeuge dieser Airline haben besonders viele Unfälle mit besonders vielen Toten. Die Erforschung dieser Unfälle brachte die wichtigste Ursache von Flugzeugabstürzen überhaupt zutage: Kommunikationsschwierigkeiten. In Krisensituationen ist es nämlich von entscheidender Bedeutung, sich deutlich und unmissverständlich ausdrücken zu können. Und genau das fällt Koreanern offenbar besonders schwer. Denn in der koreanischen Kultur hat der Respekt vor dem Vorgesetzten oberste Priorität. Den Chef oder eine andere Autoritätsperson zu kritisieren, kommt einer Beleidigung gleich. So kann ein Kopilot während des Landeanfluges beispielsweise niemals zum Piloten sagen: »Du hast vergessen die Landeklappen auszufahren.« Er muss vielmehr versuchen, ihn indirekt auf sein Versäumnis aufmerksam zu machen: »Es ist ganz schön windig, nicht? Seltsam, so kam mir das gerade eben aber noch nicht vor. Wo kommt der plötzliche Wind wohl her?« Bis der Pilot aber bei dieser Taktik endlich schnallt, worauf sein Kopilot hinauswill, ist das Flugzeug schon auf die Landebahn gekracht.
Seien Sie respektlos – Ihrem Chef zuliebe!
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Zu viel Respekt kann also das Leben kosten, und in den Fällen, wo er nicht das Leben kostet, nervt er. Jeder kennt das Phänomen: Mitarbeiter, die sich zu sehr anpassen, reizen ihre Vorgesetzten geradezu zu einer ungerechten oder sogar grausamen Behandlung. Respektlose Angestellte sind für einen Chef da viel angenehmer. Schließlich sieht ein Vorgesetzter seine Untergebenen jeden Tag viele Stunden lang und kann sich nicht ständig über sein Verhalten Gedanken machen. Das ist genauso wie zu Hause, wo man auch nicht darüber nachdenken möchte, was man tut oder sagt. Schließlich kann man sich ja darauf verlassen, dass die anderen Familienmitglieder protestieren, wenn man zu unverschämt wird.
Setzen die Angestellten ihrem Chef keine Grenzen, wird er unweigerlich zu weit gehen – und sich anschließend vielleicht sogar deswegen schämen. Um sich von seinen Schuldgefühlen zu befreien, wird der Chef sich einreden, dass die Angestellten es nicht anders verdient haben. So funktioniert eben die menschliche Psyche. Es ist also eigentlich die Pflicht jedes Angestellten, seinem Chef diese Gewissenspein zu ersparen!
In den 1990er-Jahren hatte ich in Berlin einen Studentenjob in einem indischen Imbiss. Als einzige deutsche Mitarbeiterin wurde ich vom Chef gesiezt und ausgesprochen höflich behandelt. Die Köche aus Sri Lanka allerdings litten unter seiner aufbrausenden Art, aber sie wagten es nicht, zu widersprechen oder sich zu wehren, denn dazu waren sie zu abhängig von ihm: durch ihn hatten sie Arbeit und durch die Arbeit eine Aufenthaltserlaubnis. Außerdem war der Chef noch ihr Vermieter und zahlte die Versicherungen für ihre Autos.
Es gab nur einen Mann, der dem Chef Kontra gab, er war intelligent und stolz. Niemand hätte sich getraut, ihm im Kommandoton einen Befehl zu erteilen. Er versteckte auch seine schlechte Laune nicht, wenn er welche hatte, oder seine Abneigung gegen manche Gäste des Restaurants. Dafür wurde er von den anderen Mitarbeitern bewundert und von seinem Chef respektiert, mir schien sogar, dass der Chef am liebsten gerade mit diesem Mann zusammenarbeitete.
Sich anzupassen führt dazu,
dass man sich klein fühlt.
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Ich habe den tamilischen Koch damals gefragt, ob er denn keine Angst habe, seinen Arbeitsplatz zu verlieren. Und er meinte: »Darauf kommt es nicht an. Man darf sich nicht von der eigenen Angst unterkriegen lassen. Wie schlimm die Folgen auch sein können, denk nicht daran und handle so, wie du es für richtig hältst.«
Von ihm habe ich gelernt, dass man sich immer so verhalten sollte, als bestünde die Abhängigkeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht. Irgendwann wird auch der Arbeitgeber diesen Umstand vergessen und davon ausgehen, dass sein Angestellter sich so selbstbewusst benimmt, weil ihm auch andere Optionen offenstehen.
Selbstbewusstes Auftreten als Angestellter
signalisiert Freiheit und Unabhängigkeit.
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Als ich bei einer großen Berliner Werbeagentur vom Kreativchef für einen umfangreichen Auftrag gebucht wurde,
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