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Nett ist die kleine Schwester von Scheiße

Nett ist die kleine Schwester von Scheiße

Titel: Nett ist die kleine Schwester von Scheiße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Niazi-Shahabi
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unablässig produziert durch Erziehung und Prägung – welche der buddhistischen Lehre nach verhindern, das Leben in seiner ganzen Fülle zu erfassen. Oder anders ausgedrückt: Ein Lin-Chi-Meister trachtet danach, diese innere Stimme zum Schweigen zu bringen. Er tut das mit bizarren, absurden und manchmal auch brutalen Methoden. Nur eines dabei zählt: Die Aktion des Meisters muss so unerwartet und überraschend kommen, dass mit einem Schlag alle Moral, alle Normen, alle Vorstellungen des Schülers darüber, was richtig und was falsch ist, zerbrechen. Dann kann hinter diesen Bildern das wahre Selbst erscheinen.
     
    Wie so eine Aktion aussehen kann, illustriert folgende Geschichte:
    Ein Meister schlägt seinen Schüler mit dem Stock, weil er bei einer Konzentrationsübung immer wieder denselben Fehler macht. Der Schüler wiederholt die Übung, macht erneut den gleichen Fehler und bekommt den verdienten Schlag mit dem Stock. Plötzlich gelingt ihm die Übung. Stolz dreht er sich zu seinem Meister um – und wird von ihm mit dem Stock geschlagen. »Warum schlägst du mich?«, fragt er erstaunt. »Die ersten Male habe ich dich geschlagen, weil du es falsch gemacht hast, eben gerade, weil du es richtig gemacht hast«, antwortet der Meister.
    Was bedeutet der unverdiente Schlag des Meisters? Vielleicht, dass der Schüler darüber nachdenken soll, warum er eigentlich übt und Perfektion erlangen möchte. Will er nur seinem Meister gefallen? Strebt er eigenen oder fremden Idealen nach? Warum trainiert er überhaupt? Ist sein Ziel wirklich so wichtig, könnte er nicht genauso gut in einem Café sitzen und Zeitung lesen?
    Das irritierende Benehmen des Meisters entsteht immer aus der persönlichen Beziehung zu seinem Schüler, es ist also genau auf dessen Charakter und Entwicklungsstand zugeschnitten und kann daher eigentlich auch nur von ihm selbst richtig verstanden werden.
     
    Oft wird kritisiert, dass Zen nichts biete: keine Lehre, kein Geheimnis, keine Antworten. Vor 600 Jahren sagte der japanische Zen-Meister Ikkyû Sôjun zu einem Verzweifelten: »Ich würde dir gerne irgendetwas anbieten, um dir zu helfen, aber im Zen haben wir überhaupt nichts.« Zen ist nichts Besonderes. Es bedeutet, dass man isst, wenn man hungrig ist, und schläft, wenn man müde ist, es hat kein Ziel. Es widersetzt sich grundsätzlich jeder begrifflichen Bestimmung. Das scheinbar Mysteriöse des Zen rührt allein aus den Paradoxa, die der Versuch des Sprechens über Zen hervorbringt, denn Zen zielt immer ab auf die Erfahrung und das Handeln im gegenwärtigen Augenblick – eine Sache, über die sich schwer theoretisieren lässt.
     
    »Meine Arbeit ist es, Menschen ständig in Konfrontation und damit in die Gegenwart zu bringen, und dafür muss ich aus dem Rahmen fallen. Das ist meine Rolle«, erklärt mir Thich Bo Hoang, der viel und gern spricht. »Natürlich verhalte ich mich in den Zen-Kursen anders als gegenüber meiner vietnamesischen Gemeinde. Meiner Überzeugung nach ist schlechtes Benehmen ein effektives Mittel, um mit Menschen in eine echte Beziehung zu treten. Aber was ist schlechtes Benehmen? Schlechtes Benehmen und schlechte Manieren werden uns immer dann vorgeworfen, wenn wir von dem abweichen, was andere von uns erwarten. Doch nur wenn ich die Erwartungen anderer enttäusche, also ihre Konzepte aufbreche, kommen sie in Kontakt mit sich selbst: Sie wachen auf.«
     
    Der Schüler kann sich bei seinem Lin-Chi-Lehrer nur auf eines verlassen: dass er am Ende alle Annahmen eingebüßt haben wird, was seiner Meinung nach Buddhismus und Zen sein soll. Lin-Chi bedeutet auch, dass die Vorstellungen, die der Schüler von seinem Meister hat, zerbrechen werden – dass sein Meister angeblich fürsorglich ist, höflich und rücksichtsvoll zum Beispiel. Dass er es gut mit dem Schüler meint, ihm hilft und ihn auf seinem Weg begleitet und fördert. Viele hassen ihren Meister dafür.
    Auch Bo Hoang geht es so. Er wird in seinem Kloster geliebt und gehasst – je nachdem, in welchem Stadium das jeweilige Schüler-Meister-Verhältnis sich gerade befindet: »Viele sehen einen Zen-Meister als einen allumfassend liebenden Menschen, der jeden so annimmt, wie er ist. Sie erwarten zum Beispiel, dass ich sage: So wie du bist, ist es in Ordnung. Aber ich habe keine Lust, das zu tun und zu sagen, was man von mir erwartet. Die Menschen lieben die Heuchelei. Weil ich sie aber nicht liebe und alles ausspreche, was ich denke, sagt mir mindestens einmal

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