Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nett ist die kleine Schwester von Scheiße

Nett ist die kleine Schwester von Scheiße

Titel: Nett ist die kleine Schwester von Scheiße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Niazi-Shahabi
Vom Netzwerk:
oder sich an Gruppenabenden öffnet. Es ist ihm auch nicht wichtig, ob jemand Fortschritte macht oder nicht. Was wäre überhaupt ein Fortschritt? Wenn die Menschen erkennen würden, wie tief in ihnen die Vorstellungen davon, was richtig ist und was nicht, verankert sind. Stattdessen übertragen diejenigen, die in das Kloster kommen, lediglich ihre Vorstellungen auf einen anderen Rahmen – den Buddhismus. Sie sind der festen Überzeugung, dass sie etwas Entscheidendes für ihre Entwicklung und die Befreiung ihres Selbst tun, wenn sie sämtliche buddhistischen Methoden und Empfehlungen befolgen. Doch das ist ein Irrtum.
    Während sie meditieren, fasten, über sich und ihre Gefühle sprechen, schaut ihnen der Meister zu und bereitet sich auf den Moment vor, in dem er das alles beherrschende Konzept seines Gegenübers zerstören kann.
    »Ein Schüler könnte auch jede Woche in die Buddhahalle kommen und in der Nase bohren, das ist mir ganz gleich. Ich lerne ihn auf jeden Fall kennen, ob er meditiert oder Wurstbrote isst. Und wenn ich spüre, dass er so weit ist, gebe ich ihm den entscheidenden Impuls. Eigentlich kann ich nur helfen, wenn ich meinen Schüler in Wut bringe, denn Wut ist ein sehr schöner Mechanismus, der, einmal ausgelöst, sehr effektiv Veränderungen bewirkt.
    Vor dem geplanten Seminar ›Umarme deine Wut‹ habe ich zum Beispiel eine Woche lang jeden wütend gemacht, dem ich begegnet bin. Die Stimmung im Kloster war furchtbar. Aber so konnten die Leute gleich prüfen, ob es ihnen tatsächlich gelingt, ihre Wut zu umarmen.«
     
Je mehr der Abt Thich Bo Hoang provoziert,
desto mehr zieht es die Leute zu ihm hin.
----
    Im Kloster treffen die Leute auf all das, was sie in ihrem sonstigen Leben zu vermeiden suchen. Warum aber macht es denen, die hierherkommen, Spaß, irritiert, gereizt, verärgert und provoziert zu werden? Offenbar sehnen sich die Leute danach, mit einem Menschen Kontakt zu haben, der sich weder aus Höflichkeit noch aus Mitleid, Rücksichtnahme oder gar Angst vor Liebesentzug zurückhält.
    Einige begleiten Bo sogar wie Groupies auf seinen Reisen, andere arbeiten für ihn und leben in den ungemütlichen Zimmern des Klosters. Bei ihren Partnern, Kindern, Eltern, Freunden, Vorgesetzten oder Kollegen würden sie ein solches Verhalten niemals dulden, es höchstenfalls leidend ertragen, den Zen-Meister aber bewundern sie dafür.
     
Ein buddhistischer Abt, der sich amüsiert
und seine eigene Persönlichkeit auslebt,
erfüllt nicht seine eigentliche Aufgabe.
----
    Was Bo sagt und tut, passt vielen Menschen nicht, vor allen Dingen zahlreichen Buddhisten. Denn er ist eigenwillig, ungewöhnlich, sehr ehrlich und direkt, er provoziert, er fällt aus dem Rahmen, manchmal auch nur aus Spaß, und er hat Charisma.
    Viele Buddhisten kritisieren das, weil ihrer Meinung nach das Ego dadurch zu groß wird, es aber im Buddhismus ja gerade darum geht, sein Ego zu überwinden und zu lernen, Gedanken und Gefühle gleichmütig an sich vorüberziehen zu lassen. Anlässlich des Vesak-Festes, des Festes zu Buddhas Geburtstag, kündigten daher mehrere buddhistische Oberhäupter an, sie würden nicht zu den Feierlichkeiten in Paris erscheinen. Der Grund dafür: Die geplante Ansprache von Thich Bo Hoang.
     
    Stimmt das überhaupt, dass ein buddhistischer Abt nur auf der Welt ist, um sich an die Regeln zu halten und den anderen stets ein Vorbild zu sein? Oder ist das auch nur eine falsche Vorstellung? Thich Bo Hoang erläutert seine Ansicht darüber folgendermaßen: »Ich stelle mir manchmal vor, was passiert, wenn ich so weiterlebe wie bisher, also als Mönch lebe, immer brav bete und meditiere, mich vegetarisch ernähre und keinen Alkohol trinke. Wenn ich dann sterbe und vor einen Gott oder Schöpfer hintrete und gefragt werde: ›Und? Was hast du da unten gemacht?‹, werde ich antworten müssen: ›Ich war Mönch, habe immer meditiert und war Vegetarier.‹ Ich bin mir sicher, dass der Schöpfer empört reagieren würde: ›Was? Das war alles? Ich habe dir das Leben geschenkt, und du hast nichts daraus gemacht!‹
    Wir sind fühlende Wesen, und es ist Unsinn, seinen Gefühlen zu entsagen. Meine Gefühle und Wünsche machen mich lebendig. Ich will sie wahrnehmen, ich habe ein gesundes Ego. Etwas anderes zu behaupten, wäre Heuchelei. Man kann daher mit Recht behaupten, dass ich mich im Kloster verwirkliche. Auf jeden Fall tue ich nichts, was mir keinen Spaß macht.«
     
    Ich habe Bo eine Woche lang bei seinen

Weitere Kostenlose Bücher