Nett ist die kleine Schwester von Scheiße
Konsequenzen haben kann. Es gibt für ihn nur eine Lösung, und die erfordert Mut: Ben Sobel wird in der Mafiarunde all das tun, was man in seinen Kreisen normalerweise nicht macht. Also grüßt er nicht, als er den Schuppen betritt, lächelt nicht, reißt die Klappe weit auf und lässt niemand anderen zu Wort kommen. Sich selbst bezeichnet er als »verschissenen Doktor«, die anderen noch als weit Schlimmeres. Als ihn ein Handlanger Vittis, ein impulsiver und nicht sehr intelligenter Killer, unterbricht, schlägt er diesem sogar mehrmals ins Gesicht. Die Mafiosi sind entsetzt, aber nun darf Sobel nicht einknicken – denn wer sich entschuldigt, hat verloren, wer höflich ist, strahlt keine Macht aus. Und sein Plan geht auf: Am Ende der Sitzung hat er den Respekt der Anwesenden gewonnen.
Nach diesem Erlebnis ist der New Yorker Psychiater ein freierer und glücklicherer Mann. Er hat Klarheit über seine Wünsche und Gefühle erlangt, bei seinen Patienten ist er beliebter als zuvor, und von seiner Mutter lässt er sich nicht mehr terrorisieren. Doch das Wichtigste: Endlich gelingt es ihm, die Frau seiner Träume zu erobern. Ein Happy End! Leider kann der Mann, dem er das alles zu verdanken hat, nicht zu seiner Hochzeit kommen, denn Paul Vitti wird kurz zuvor verhaftet und kommt ins Gefängnis.
Die Botschaft dieses Films ist klar: Lieber verhaftet werden als kein Mann sein. Und ein Mann, der stets das tut, was er tun sollte, ist kein Mann. Ein Mann verrät nicht, wohin er geht, und kommt dann zur vereinbarten Zeit wieder. Er wischt nicht die Kacheln im Badezimmer ab, nachdem er geduscht hat, er entschuldigt sich nicht dafür, dass er gerülpst hat oder vergessen hat, den Müll runterzubringen. Ein Mann isst, trinkt, vögelt, soviel er will (oder kann), und geht nicht am Wochenende mit den Kindern auf den Spielplatz und setzt sich zu ihnen in den Sandkasten. Denn das macht einem richtigen Mann keinen Spaß. Einer richtigen Frau natürlich auch nicht. Paul Vitti ist ein Mann, weil er seinen Impulsen folgt und es nicht nötig hat, seine Wünsche und Abneigungen gegenüber anderen zu rechtfertigen. Seine Waffe ist Rechtfertigung genug. Vitti ist kein Warmduscher, Frauenversteher und Bitte-melde-dich-Opfer, und er käme auch nie auf die Idee, so etwas sein zu wollen.
Ein Mann, der sich anpasst,
statt seinen Impulsen zu folgen,
ist ein Kastrat.
Thich Bo Hoang
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»Die meisten Männer in Frankreich wirken auf mich engstirnig, distanziert und kastriert«, ist das Erste, was Thich Bo Hoang, genannt Bo, zu mir sagt, als ich ihn am Vormittag auf einer Fahrt von Bordeaux nach Clermont Ferrand im Auto begleite und mit ihm darüber spreche, wie er das Verhalten der Franzosen einschätzt. »Und die meisten Frauen, die ich kennenlerne, sind spröde und prüde. Kein Mann darf ihnen ›Ciao Bella‹ nachrufen wie in Italien. Das macht man hier nicht, es gilt als frauenfeindlich, als politisch nicht korrekt. Und keiner will frauenfeindlich, anzüglich, provozierend oder aufreizend wirken. Aber was ist daran so schlimm, politisch nicht korrekt zu sein? Und übrigens: Unsere Wünsche sind niemals politisch korrekt. Deswegen unterdrücken wir sie.«
Thich Bo Hoang ist der Abt eines buddhistischen Klosters in Clermont-Ferrand. Das Kloster liegt mitten in einem Gewerbegebiet in der Nähe einer Autobahn im Süden von Clermont Ferrand, es ist Kloster, Seminar- und Tagungsort, Gesundheitszentrum sowie Gemeindehaus. Die Mönche und Nonnen kommen aus Frankreich, Vietnam, Taiwan, USA, Italien und aus Deutschland.
Der Abt ist Mitte sechzig, klein und ein wenig dicklich. Er ist ein Experte für schlechtes Benehmen, mit diesem Thema beschäftigt er sich als Meister der Lin-Chi-
Tradition jeden Tag. Er wurde 1947 in Saigon geboren und bereits im Alter von acht Jahren im Lin-Chi-Orden als Mönch ordiniert und erhielt dort eine traditionelle buddhistische Schulung. Ob er sie abgeschlossen hat oder nicht, darüber herrscht in seiner Gemeinde Uneinigkeit. Nach dem Abitur setzte er seine Studien in Sri Lanka, Taiwan und China fort und ließ sich in Chinesischer Medizin ausbilden, bevor er sich in Frankreich niederließ.
Die Lehre des chinesischen Zen-Meisters Lin-Chi († 867) hat zum Ziel, die durch Erziehung und soziales Umfeld erworbenen Denkkonzepte des Schülers aufzulösen. Durch nicht-konformes Verhalten des Meisters werden Gewohnheiten und Vorurteile des Schülers aufgebrochen. Es sind nämlich diese Denkkonzepte –
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