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Nett ist die kleine Schwester von Scheiße

Nett ist die kleine Schwester von Scheiße

Titel: Nett ist die kleine Schwester von Scheiße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Niazi-Shahabi
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ausgerechnet Agnès sich der Sympathie von Bo erfreut, während andere ignoriert werden.
    »Interessant ist«, meint Bo, »wenn so etwas passiert, dann drehen sich die meisten sofort zu mir um und erwarten, dass ich das Verhalten von Agnès missbillige. Schließlich spricht sie, während man schweigen soll. Jeder Besucher hält sich ehrfürchtig daran, denn die Leute, die hierherkommen, halten es für wichtig und gut, beim Essen zu schweigen. Beim Kauen und Schlucken ganz im Moment zu sein und sich nicht mit sinnlosem Geplapper zu zerstreuen. Und natürlich wollen sie unsere Gesetze und die buddhistischen Meister respektieren.
    Ich spüre ihren Wunsch, dass ich Agnès zurechtweisen oder gar ausschließen soll. Aber ich finde gut, was Agnès macht: So ein Verhalten bringt Bewegung herein, es macht die anderen wach. Jeder kann selbst herausfinden, ob er sich gestört fühlt, weil nun keine Stille mehr herrscht oder weil er selbst gerne das getan hätte, was Agnès getan hat. Wer sich ärgert, ist im Moment – in der Realität. Leichter kann man Erleuchtung nicht erreichen.«
     
    »Ich habe keine Lust auf Banque Alimentaire«, sagt Nadine am Abend zu mir und lädt mich ein, mit ihr zu Quick neben der Tankstelle gegenüber zu gehen. Wir überqueren die große Kreuzung, hinter dem Autobahnkreuz geht die Sonne unter.
    »Hier müssen wir wenigstens nicht das Kauen und Schmatzen der Vietnamesen ertragen«, meint Nadine und trägt ihr Tablett mit Pommes, Kaffee und Eiscreme an den Tisch in der hintersten Ecke. Nadine hat recht: Wegen des Schweigens während der Mahlzeiten sind die Essensgeräusche des vietnamesischen Küchenpersonals das Einzige, was zu hören ist. Es fällt schwer, nicht darauf zu achten, wie sie ihre Suppe schlürfen, wenn man nicht reden darf. Ich weiß sowieso nicht, wie Nadine es im Kloster aushält. Sie ist nie allein, schläft mit drei anderen Mädchen im Zimmer, telefoniert, isst und schminkt sich stets in Gesellschaft. Und in die Stadt ins Kino oder in ein Restaurant zu gehen, kann sie sich aufgrund ihres niedrigen Gehalts nicht leisten.
    »Wie gefällt es dir hier bei uns?«, fragt sie. Rechts neben uns sitzen vier Männer, ein großer, kräftiger Kerl in einer hellbraunen Lederjacke, neben ihm ein hagerer Mann mit einer riesigen Nase, ihm gegenüber zwei verschlagen aussehende Gestalten, der eine klein mit Halbglatze, der andere hat die Statur eines Boxers. »Gut«, erwidere ich und beobachte dabei, wie der Mann in der Lederjacke ein dickes Geldbündel aus der Tasche zieht, lauter 200- und 500-Euro-Scheine. »Das war doch toll von Bo, dass er deine Frage mit dem schlechten Benehmen gleich zum Wochenthema gemacht hat«, meint Nadine, kippt ihre Portion Pommes auf das Tablett und beginnt zu essen.
    Der Mann zählt mehrere Geldscheine auf den Tisch, ziemlich viele vor dem Kleinen mit der Glatze und einige vor dem Langen mit der Hakennase, der Boxer bekommt nichts. »Und die Geschichten, die die Leute erzählt haben, waren doch echt krass, oder?«
    »Geht so«, gestehe ich, »das meiste fand ich ziemlich langweilig.«
    »Wieso? Was hast du denn erwartet?«
    Der Mann, der das Geld ausgeteilt hat, sagt gerade: »Das Schwein schuldet mir auch noch 30 000 Euro. Da gehst du gleich heute Abend vorbei, aber geh nicht allein.« Der Lange mit der Hakennase nickt.
    »Ehrlich gesagt, finde ich es langweilig, dass alle Bo nach dem Mund reden«, antworte ich. »Das merkt er doch. Schon allein aus diesem Grund würde ich ihm öfter mal widersprechen.«
    Nadine ist richtig beleidigt: »Es geht doch nicht immer darum, besonders originell zu sein oder sich zu amüsieren!«
    »Seine Frau hat gesagt, dass er bezahlen wird«, meint jetzt der Mann mit der Hakennase und steckt die Geldscheine ein.
    »Worum geht es dann?«, frage ich.
    »Du hast wirklich nichts verstanden«, seufzt Nadine. »Das sind alles Konzepte. Wenn man dem Meister nach dem Mund redet, ist das ein Konzept, und wenn man ihm immer widerspricht, ist es auch eines. Aber keines ist besser als das andere.«
    »5000 Euro«, weht ein Gesprächsfetzen vom Nebentisch herüber.
    »Das glaube ich nicht«, sage ich.
    »Das ist doch alles eine Idee des Egos. Der eine denkt, dass er nett sein muss, um sich besser zu fühlen, andere glauben wie du, dass man unbedingt anders und originell sein muss.«
    »Bo hat mir heute Nachmittag gesagt, dass es ihn amüsiert, wenn man ihm widerspricht. Und es ist doch ganz offensichtlich, dass er Agnès lieber mag als zum

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