Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Neubeginn in der Rothschildallee - Roman

Neubeginn in der Rothschildallee - Roman

Titel: Neubeginn in der Rothschildallee - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
Vom Netzwerk:
Adelheid, seiner Nürnberger Zimmerwirtin, war eine nicht auszulöschende Erinnerung an die Verfehlung einer Nacht. Der reuige Sünder hing trotzdem an der schweigsamen Katze. Er hatte sie nur deshalb in seinem Dienstzimmer aufgestellt, weil er fürchtete, seine Tochter würde Fragen stellen, auf die kein Vater aus freien Stücken Antwort gab. Fritz lächelte, hätte allerdings nicht sagen können, ob er im Moment seiner Erheiterung an Fannys erwachendem Interesse am Männlichen oder an Frau Adelheid im klaffenden Kimono dachte.
    Er erinnerte sich daran, dass er den schönen Stich der Frankfurter Altstadt, wie sie vor ihrem Bombentod gewesen war, mit nach Hause nehmen musste. Das Bild war ein Geburtstagsgeschenk seiner beiden Kollegen, doch Fritz hatte Hemmungen gehabt, es in der Rothschildallee aufzuhängen und so Betsy Tag für Tag mit der Welt zu konfrontieren, in der sie mit ihrem Mann und den Kindern glücklich gewesen war.
    In seiner Aktentasche lagen der Stollen, den Anna mit Sultaninen aus Südafrika gebacken hatte, ein Viertel frisch gemahlener Kaffee und zwei Flaschen Wein, auch sie ein Geschenk von Alice. Dr. Friedrich Feuereisen, den es seit seinem ersten Tag als Richter zurück in seinen ursprünglichen Anwaltsberuf gedrängte hatte, wollte am letzten Tag seines Beamtendaseins seinen beiden Kollegen und der Stenotypistin, Frau Fink, mit mehr als nur einem üblichen Händedruck Dank sagen. Marianne Fink war eine aus Ostpreußen geflohene Kriegswitwe mit drei unterernährten Kindern und einer Frohnatur, die nicht ahnen ließ, was sie hatte erdulden müssen. Die zwei Richter und das »Finkchen« hatten stets Verständnis für Fritz gehabt, den sie, wenn sie allein waren, »den fliegenden Holländer« nannten. Nach der langen Zwangspause, die ihn häufig an seinen beruflichen Fähigkeiten zweifeln ließ, hatte ihm das Trio den Neuanfang sehr viel leichter gemacht, als er je zu hoffen gewagt hatte. Erst in der vorigen Woche hatte er zu Erwin gesagt: »Ich weiß gar nicht, wie ich ohne meine drei Schutzengel überlebt hätte. Die beschämen mich immer noch täglich mit ihrer Hilfsbereitschaft und ihrer Geduld.«
    »Das ist ja das Vertrackte«, hatte Erwin analysiert. »Man stößt zu oft auf Menschen, die einem sämtliche Theorien von den bösen Deutschen über den Haufen werfen.«
    Zu seinem Erstaunen fand Fritz sein Zimmer von innen verschlossen. Es wurde jedoch sofort aufgemacht, als er – ärgerlich zaghaft, wie er feststellte – an die Tür klopfte. Die verschlissenen grauen Gardinen, ein Relikt aus der Vorkriegszeit, waren zugezogen. In dem Pfeifenaschenbecher, in dem sonst Büroklammern, Gummiringe und der gemeinschaftlich genutzte Radiergummi verwahrt wurden, brannte eine dicke rote Kerze – es war das erste Mal seit dem Krieg, dass es wieder Kerzen für Adventskränze zu kaufen gab. Um das Prachtstück waren kleine Tannenzweige und ein paar Lamettafäden drapiert. Auf seinem Schreibtisch entdeckte Fritz zwei vergoldete Nüsse und einen winzigen Zwerg aus Holz mit einer roten Zipfelmütze. Wie sich später auf Befragen des gerührten Empfängers herausstellte, hatte sich das jüngste der »kleinen Finken« von dem Zwerg getrennt, obwohl der Wichtelmann noch aus Ostpreußen stammte. Ein rotes Alpenveilchen in einem mit einer Manschette aus grünem Krepppapier umwickelten Blumentopf stand auf dem Fensterbrett. »Ein echter Tontopf«, sagte Fritz verlegen. »Womit habe ich das verdient?«
    »Weil Sie Sie sind«, erwiderte Frau Fink. »Ich soll Ihnen von meinem Hans-Dieter ausrichten, dass der Zwerg Fritz heißt und zaubern kann.«
    »Sagen Sie ihm, das hätte ich auf den ersten Blick festgestellt. Fritz soll’s gut bei Fritz haben. Und Ihr Fritz darf meinen Fritz so oft besuchen, wie er will.«
    »Das wird er sich nicht zweimal sagen lassen. Er schwärmt für Sie, der Bub.«
    Noch nie hatte Fritz in seinem kleinen Dienstzimmer so viele Leute auf einmal erlebt – außer seinen beiden Kollegen Landmesser und Binding und Frau Fink, die eine große braune Tüte hochhielt, waren der Referendar Weidemann gekommen, ein Mann Anfang dreißig, der erst mit seinem Jurastudium hatte anfangen können, als er »kriegsuntauglich« geschossen worden war. Am Fenster standen zwei ältere Richter vom Amtsgericht, die Fritz zu seinem Verdruss auch nach einem Jahr noch miteinander verwechselte, obwohl der eine mit ihm prinzipiell über seine Militärzeit in Holland sprach, sobald er ihm auf dem Flur begegnete, und der

Weitere Kostenlose Bücher