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Neubeginn in der Rothschildallee - Roman

Neubeginn in der Rothschildallee - Roman

Titel: Neubeginn in der Rothschildallee - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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feucht.
    »Nanu, hat meine Schwester Sehnsucht nach Israel, oder sehnt sie sich einfach nur nach Menschen, denen es nicht sofort die Sprache verschlägt, wenn sie erfahren, dass wir jüdisch sind?«
    »Ich weiß es nicht«, grübelte Clara, »ich weiß es wirklich nicht. Wahrscheinlich habe ich ein besonderes Talent, überall ein bisschen unglücklich zu sein. Beachtet mich nicht. Tut einfach so, als wäre ich normal. Übrigens hat mir eine Schneiderin aus Krakau, die ich in Tel Aviv jeden Freitag beim Gemüsehändler getroffen habe, klargemacht, das unglücklich zu sein der einzig sichere Schutz vor Enttäuschungen ist. Sie hat sich jede Woche bei mir beklagt, dass die Suppenhühner in Tel Aviv nicht so fett waren wie die in Krakau. Und jetzt«, lenkte Clara ab, »lässt Fritz der Held endlich die Katze aus dem Sack.«
    »Welche Katze, welcher Sack?«
    »Wo in dieser Trümmerstadt ist es dir gelungen, wenigstens ein Zimmerchen aufzutreiben, in dem du dich zum Wohle der Armen, Entrechteten und Eierdiebe entfalten kannst? Durch dein Meisterstück gehört uns wieder ein ganzes Haus, und doch hocken wir zu siebt in einer Wohnung und danken dem Schicksal, dass es so gekommen ist. Mutter hat schon Angst gehabt, deine Mandanten würden künftig vor ihrer Speisekammertür hocken, und unsere Meisterpessimistin sah bereits Kinderschänder und Gattenmörder im Hausflur herumlungern und ihr an die Wäsche gehen. Nicht wahr, Claudette, so war’s doch? Also raus damit, Fritz, wer hat dir beigestanden?«
    »Der liebe Gott. Wer sonst? Er hat sogar mein Glück gleich verdoppelt. Rechtsanwalt Dr. Feuereisen eröffnet nämlich seine Praxis in der Biebergasse. Mit sämtlichen Trambahnen zu erreichen, die die Hauptwache anfahren.«
    »Du warst doch früher auch in der Biebergasse«, erinnerte sich Erwin. »Wenn ich etwas noch genau weiß, dann das. Und dass wir uns mittwochs immer im Café Bauer in der Schillerstraße zum zweiten Frühstück getroffen haben. Mein Gott, was war man damals fein. Ich hab Spiegelei auf Pumpernickel getafelt, was Josepha nicht wissen durfte, weil sie es nicht mochte, wenn ich anderswo aß als bei ihr, und du hast dich auf das Israelitische Wochenblatt gestürzt und immer gesagt, du hättest im Café mehr Ruhe zum Zeitunglesen als zu Hause. Und jetzt hast du den Mumm, die Geschichte wieder dort fortzusetzen, wo sie aufgehört hat. Ohne das Café Bauer natürlich und ohne das Israelitische Wochenblatt. Bist du am Ende auch noch in dem Haus von früher?«
    »So gut wie. Zwei Häuser weiter. Das Haus von früher steht nicht mehr. Kein einziger Stein. Es ist also keine Fortsetzung. Noch nicht einmal eine halbe. Wenn ich Glück habe, wird es ein Neubeginn.«
    »Und das«, fragte Clara kopfschüttelnd, »konntest du uns nicht erzählen? Seit wann isst man seinen Kuchen allein? Hast du gedacht, wir werden an unserem Neid ersticken und dem einzigen Menschen, dem es gelingt, meine Enkeltochter ins Bett zu bringen, ohne dass sie das Haus niederschreit, die Augen auskratzen? Mensch, Fritz, nach dem, was wir erlebt haben, ist alles Gute, das einem Familienmitglied widerfährt, immer ein Stück eigenes Glück. Ich dachte, das siehst du ebenso.«
    »Und ob ich das tu! Aber ich habe so lange gebraucht, um es selbst zu glauben«, gestand Fritz. »Ich bin auf meine alten Tage leider abergläubisch geworden. Und verdammt kleinmütig. Mir widerstrebt es, über Dinge zu sprechen, ehe sie nicht in trockenen Tüchern sind. Es war alles Zufall. Ein abenteuerlicher, wahnwitziger Zufall. Ich muss mich jetzt noch zwicken, um zu glauben, was geschehen ist.«
    Er erzählte, dass er auf dem Gerichtsflur seinen früheren Hauswirt von der Biebergasse getroffen habe. »Alfred Becker heißt er. Sein Haus lag in Trümmern, seine Frau mit einem amerikanischen Oberst im Bett, ein Strafverfahren wegen Wirtschaftsvergehen war soeben schlecht für ihn ausgegangen, doch sein gutes Gedächtnis, sein gutes Herz und seine gute Laune hat er behalten. Und seine Beziehungen.«
    »Beziehungen haben sie doch alle in dieser Stadt«, meinte Clara. »Sofern sie das Glück haben, nicht zu Gottes auserwähltem Volk zu gehören.«
    »Becker hat nicht nur die Beziehungen, von denen wir noch nicht einmal träumen. Er hat sich überraschend genau an mein schmähliches Ende erinnert. Und wie er mir dreimal in zehn Minuten erzählt hat, hat er sich auch an meine schöne Frau erinnert. Fragt mich nicht, wie ich das durchgestanden habe, ohne wenigstens den Versuch zu

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