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Neubeginn in der Rothschildallee - Roman

Neubeginn in der Rothschildallee - Roman

Titel: Neubeginn in der Rothschildallee - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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›Nachtwache‹ gehen, aber sie hat mir gesteckt, dass der dafür plädiert, die innere Heimatlosigkeit zu überwinden, indem man sich der Religion zuwendet. So etwas ist nichts mehr für den alten Fritz. Der hat sich nämlich mit seiner inneren Heimatlosigkeit arrangiert. Alles eine Sache der Gewohnheit.«
    »Wer spielt denn mit?«, fragte Betsy.
    »Luise Ullrich. Das war’s ja, was mich so gereizt hat. Für die Ullrich habe ich wie ein Primaner geschwärmt, seitdem ich sie mit Luis Trenker in dem Film ›Der Rebell‹ gesehen habe. Das war noch vor Hitler.«
    »Ich schwärme für Dieter Borsche«, berichtete Fanny. »Der spielt ebenso mit wie Hans Nielsen. Jedenfalls lassen Claudette und ich uns nichts von Clara ausreden. Wir haben schon Karten für die Samstagabendvorstellung.«
    »Taschentücher werdet ihr brauchen«, empfahl Clara, »und eine gute Fee, die sich bereit erklärt, Ora ins Bett zu bringen und mit ihrer Puppe zu beten. Ihre Großmutter, die nie Nein sagt, hat leider dienstfrei.«
    »Im Kino zu weinen ist gut für die Seele«, behauptete Fritz.
    »Wer sagt das?«
    »Alle. Jedenfalls alle, die sonst keinen Grund zum Weinen finden.«
    Seit dem 17. September hatte Fritz Freude im Herzen und eine Trumpfkarte im Ärmel. Ausspielen wollte er die allerdings erst, nachdem er mit Hans und Anna gesprochen hatte. In der Tasche seines Jacketts steckte ein seit Monaten fälliger und mit Sehnsucht erwarteter Brief vom Wohnungsamt. Darin wurde Rechtsanwalt Dr. Friedrich Feuereisen mitgeteilt, dass dem »im Namen von Frau Betsy Sternberg gestellten Antrag auf Räumung der Parterrewohnung im Haus Rothschildallee 9 stattgegeben worden ist. Dem derzeitigen Hauptmieter Neugebauer sowie den beiden in seiner Wohnung eingewiesenen Untermietern«, teilte ein Beamter mit, der ausgerechnet Glücksmann hieß, »werden innerhalb von vier Wochen ab dem obigen Datum entsprechende Ersatzunterkünfte zugewiesen. Ihrer Mandantin steht demnach die Parterrewohnung spätestens ab dem 1. November 1949 zu.«
    Am 21. September schloss Fritz die Kanzlei bereits um vier Uhr nachmittags. Seine Tochter, immer noch die einzige Bürokraft, schickte er unter einem Vorwand, den Fanny sofort als fadenscheinig durchschaute, doch nicht zu kommentieren wagte, mit einer Akte zu einem Kollegen nach Sachsenhausen. Er selbst – das Schreiben vom Wohnungsamt in seiner Aktentasche – nahm die Tram zum Zoo und eilte erwartungsfroh von dort in die Thüringer Straße.
    Hans, der mittwochs meistens Frühschicht hatte, saß in der Küche. Die achtjährige Sophie drückte sich jubelnd an Fritz. »Er ist ein Zauberer«, raunte sie ihrer Freundin Lena in Erinnerung an die Hungerzeit und die froschgrünen Bonbons zu, mit denen Fritz für immer ihr Herz erobert hatte.
    »Ich weiß«, sagte Lena bereitwillig. Seitdem ihr Großvater tot war, widersprach sie niemandem mehr.
    »Das kannst du gar nicht wissen«, entschied Sophie unwillig. »Er hat nur für mich gezaubert. Er ist mein Onkel. Du hast ja keinen.«
    Hans schaute zuerst Fritz und dann die Aktentasche an. »Ihr verschwindet besser«, polterte er. »Und Fräulein Sophie lässt sich einen anderen Ton einfallen. Sonst zaubere ich.«
    Zehn Minuten später traf Anna ein. »Wie schön«, freute sie sich, als sie Fritz sah. »Wir haben uns ja Ewigkeiten nicht gesehen.«
    »Stimmt«, bestätigte Fritz. »Mindestens drei Wochen nicht. Doch ich habe eine gute Entschuldigung. Wenigstens halte ich sie für gut.«
    Anna war beim Friseur gewesen, sie hatte ein blaues Kostüm und eine weiße Bluse an, am linken Revers steckte ein Bund Stoffveilchen.
    »Schrecklich schön«, grinste ihr Mann, »der Kerl hat dir wieder die Trambahnschienen um den Kopf gelegt, die mich ganz verrückt machen.«
    Anna war gekränkt, doch nicht lange genug, um sich richtig zu ärgern. Fritz, der am Küchentisch vor einem reichlich gefüllten Glas Korn saß, stand wieder auf. Er stellte sich vor Anna, blickte sie so ernst an, dass sie rot wurde, drückte ihre Hand und verwirrte sie vollends, indem er sie fragte: »Hast du nicht immer einen ganz besonderen Herzenswunsch gehabt?«
    »Doch«, sagte Hans, »sie wünscht ihren Mann zum Teufel.«
    »Nicht zum Teufel, Hans. In die Rothschildallee wünscht sie dich. Euch alle. Rothschildallee 9. Die Parterrewohnung. So Gott will, für immer.«
    »Was um Himmels willen willst du uns damit sagen?«
    »Genau das, was ich eben gesagt habe. Das Ehepaar Neugebauer, das immer noch nicht fassen kann, dass

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