Neue Schuhe zum Dessert
gut. Die Vertrautheit, die Jojo sich wünschte, würde nicht entstehen, wenigstens nicht heute. Es war so, als wäre Louisa nicht wirklich Louisa, sondern jemand anders, im Bann dieses kleinen Wesens. Schließlich hatte sie bei ihrem Besuch immer nur Blickkontakt mit Stella gehabt, obwohl Stella technisch gesehen noch zwei Wochen lang blind sein würde.
Sie küsste Louisa zum Abschied. »Melde dich mal, und wir sehen uns im … wann kommst du zurück? Im Juni?«
»Mmmm. Juni. Bis dann.«
»Meine Güte!«, platzte Manoj los, als Jojo wieder ins Büro kam. »Hast du das gesehen?«
»Was?«
»Als Mark Avery das Baby im Arm hatte, waren die Frauen alle ganz verzückt. Frauen haben andauernd Babys im Arm, und keiner ist verzückt. Was soll das denn?«
Jojo musterte ihn. »Sag du es mir.« Sie wollte gern wissen, warum ihr beim Anblick von Mark mit dem Baby auf dem Arm der Appetit auf den Kuchen vergangen war.
»Ist doch klar!«
»Weil er männlich, aber zärtlich war?«
Er verdrehte die Augen. »Weil er der Chef ist und sie sich bei ihm einschleimen wollen.«
Vier Wochen später
»Vielleicht kannst du dir das mal ansehen.« Pam reichte Jojo einen Stapel Papier. »Ich glaube, es ist ein Manuskript.«
»Was heißt hier, du glaubst?«
»Na ja, es sind lauter E-Mails und so.«
»Sachbuch?«
»Nein, eigentlich nicht. Und diejenige, die es geschrieben hat, ist nicht diejenige, die es eingereicht hat. Die Autorin heißt Gemma Hogan, aber ihre Freundin Susan hat es geschickt.«
»Klingt leicht neurotisch.«
Pam zuckte die Achseln. »Ich würde dir empfehlen, mal reinzugucken. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, es könnte eine große Sache sein.«
LILY
Ich stehe zu meiner Entscheidung, aber ich werde mir selbst nie verzeihen. Das klingt furchtbar melodramatisch, ich weifz, aber es soll nur eine Feststellung sein. Es gibt viele Momente – bis zum hentigen Tag –, da ich mir wünschte, ich wäre ihm nie begegnet. Es ist das Schlimmste, was ich je getan habe, und obwohl wir zusammen sind und Ema haben, passiert es mir manchmal bei ganz alltäglichen Sachen – zum Beispiel wenn ich Emas Fläschchen mache oder mir die Haare wasche –, dass ich innerlich auf eine Katastrophe warte. Wenn das eigene Glück darauf begründet ist, dass ein anderer unglücklich wird, ist das kein Fundament für Danerhaftigkeit. Anton meint, ich habe katholische Schuldgefühle. Dabei bin ich nicht katholisch – anscheinend ist das auch nicht nötig .
35
Journalisten. In meiner kurzen Karriere als Interviewobjekt habe ich zwei Sorten kennen gelernt. Diejenigen, die sich als »ernsthafte« Journalisten zu erkennen geben, indem sie sich wie Obdachlose kleiden (ein Stil, den ich, seitdem ich Mutter bin, auch für mich entdeckt habe). Oder solche, die ihr ganzes Leben damit zubringen, bei offiziellen Anlässen in ausländischen Botschaften aufzukreuzen. Die Interviewerin, die jetzt über meine Schwelle trat – Martha Hope Jones vom Daily Echo – gehörte der Botschaftenkategorie an. Sie trug ein rotes Kostüm mit Goldknöpfen und Zopf-Epauletten, dazu Stöckelschuhe, die so rot waren wie ihr Kostüm. Ich fragte mich, wie sie das hingekriegt hatte. Vielleicht war sie bei einem von diesen Hochzeitsausstattern gewesen, die die Schuhe der Brautjungfern in genau dem gleichen Farbton wie das Kleid einfärben. Nicht, dass ich mich damit so gut auskenne.
»Willkommen in meiner bescheidenen Hütte«, sagte ich und hätte mir fast auf die Zunge gebissen. Ich wollte unbedingt vermeiden, dass ihr die tatsächliche Bescheidenheit meiner Hütte auffiel: eine Zwei-Zimmer-Wohnung, ehemals sozialer Wohnungsbau, in der Anton, Ema und ich wohnten.
Als Otalie, meine Werbefrau bei Dalkin Emery, das Interview verabredete, hatte ich darum gebeten, Martha in einem Hotel treffen zu dürfen, einer Bar, einer Bushaltestelle – irgendwo, nur nicht hier. Da es aber in der »Zu Hause bei …«-Rubrik erscheinen sollte, blieb mir keine Wahl.
»Wie nett«, erklärte Martha, als sie in die Küche guckte und die Wäsche auf den beiden Wäscheständern sah, die einfach nicht trocken werden wollte.
»Da sollten Sie gar nicht reingehen«, sagte ich errötend. »Tun Sie so, als hätten Sie das nicht gesehen.«
Aber Martha hatte schon ein Notizbuch aus ihrer Tasche (von dem gleichen Rot wie die Schuhe) geholt und kritzelte jetzt etwas hinein. Ich versuchte, das Geschriebene verkehrt herum zu lesen, und glaubte, das Wort »Schweinestall«
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