Neue Zeit und Welt
hieß ihn in einem großen, dickgepolsterten Sessel Platz nehmen. Hinter ihm in einem Alkoven spielte ein junges Mädchen Zither – ein stilles, klassisches Stück aus dem Orient. Die Beleuchtung war von bernsteinfarbenem Schimmer, draußen herrschte abendliche Dunkelheit. Osi kam hereingeglitten wie ein lauer Wind, in Seide gehüllt. Er roch nach Parfüm und Tabak.
»Bitte, nicht aufstehen«, sagte er, berührte Aba an der Schulter und ließ sich in einen Sessel sinken. Mit einem Wildledertuch wischte er einen blauen Fleck von der Hand. »Ihr müsst mich entschuldigen – ich habe gemalt.«
»Oh? Was macht Ihr?« fragte Aba.
Osi zog die Schultern hoch.
»Ich bin ein Dilettant. Meistens arbeite ich in Öl.« Er warf den Lappen auf den Boden.
»Ich möchte gern ein Bild sehen.«
»Wirklich? Nun ja, später, das wäre ganz nett. Aber zuerst etwas zu trinken.« Er läutete mit einer Kristallglocke auf dem Marmortisch neben seinem Sessel. Im nächsten Augenblick kam ein nackter Junge herein. Er trug ein Tablett mit zwei Gläsern. Als die beiden Vampire sich bedient hatten, hob er den Lappen auf und verließ das Zimmer.
Aba schnupperte an seinem Glas: Blut, Brandy und Zimt, mit einem Hauch von Orangenschale.
Osi hob sein Glas.
»Auf adernfrohes Leben«, sagte er.
»Adernfrohes Leben.« Aba hob ebenfalls sein Glas.
Sie tranken.
Nachdem sie sich eine Zeit unterhalten hatten, aßen sie etwas Leichtes zu Abend – rohes Lamm, in hämolysierten roten Blutkörperchen mariniert, Venen in zarter Mark-und-Serum-Sauce – und zogen sich ins Arbeitszimmer zurück, wo Osis halbfertiges Gemälde noch auf der Staffelei stand. Das Bild zeigte eine Menschenfrau, weinend über dem schlaffen Leib eines Mannes zusammengesunken, der aus einer tiefen Halswunde blutete. Über ihre Gesichter fiel der Schatten eines Vampirflügels.
Aba war beeindruckt.
»Ihr habt eine empfindsame Palette«, sagte er.
»Ich bin für die Konsequenzen meines Daseins nicht unempfindlich – für die Widersprüche des ›Zivilisiertseins‹.«
»Widersprüche, die ein wahrhaft kultivierter Vampir gewiss verringern kann.«
»Au contraire«, sagte Osi und hob den Finger. »Je höher entwickelt die Zivilisation – das Gefühl, das man dafür aufbringt –, desto deutlicher werden diese Widersprüche, müssen sie werden.«
»Wie das?«
»Wenn alle Menschen nur noch entweder Versuchspersonen der Königin sind oder Haremssklaven von Sires, werden wir die höchste Stufe unserer Zivilisation erreicht haben – aber der menschliche Schmerz, den ich in meinem Gemälde auszudrücken versuche, wird sich auch zum Höhepunkt steigern. Die Widersprüche sind nicht nur nahe liegend, sie drängen sich unvermeidlich auf.«
»Dann sollten wir sie vielleicht feiern.«
»Ihr seid sarkastisch, aber ich vergebe Euch. Sarkasmus ist der erste Schritt zur wahren Einsicht.«
»Ah, wenn Philosophie zum Aphorismus entartet, ist das Ende des Abends in Sicht.«
»Wenn Ihr Degeneration wittert, so entsteht sie – vor allem jetzt – durch Intellekt, pervertiert durch die Verdauung.«
Aba lachte, trat ans Fenster und blickte auf die Sternennacht hinaus.
»Sagt, wie sieht diese Neue Welt aus, die Eure Königin zu erschaffen versucht?«
»Eine Welt des Friedens und der Errungenschaften, nichts Geringeres«, sagte Osi mit Nachdruck. »Alle Menschen entweder im Harem oder im Labor. Alle anderen Tiere in großen Reservaten, wo sie ohne Furcht und Hemmung frei umherziehen können. Die Weltkultur eine Partnerschaft zwischen dem klugen, leidenschaftslosen Neurowesen und dem weisen, aber sinnlichen Vampir. In jeder Beziehung eine Idealwelt.«
»Sie hat ihre Reize«, gab Aba zu. »Aber sie ist schon von Beginn an auf Zwang aufgebaut.«
»Wo ist kein Zwang, Sire Aba? Zwingt nicht die Sonne die Nachteule, sich zu verbergen? Geben wir dem Zwang aus der Hand der Natur nicht lediglich Richtung und Sinn?«
Aba drehte sich um und blickte in Osis bannende Augen, bemüht, ihre Tiefen zu erforschen.
»Alles schön und gut, über große Fragen zu philosophieren. Mir macht es Schwierigkeiten, den einen Augenblick mit dem nächsten zu vereinbaren. Lüste zu befriedigen, auf Kosten von Leben, dem ich mein Mitgefühl zu zeigen nicht umhin kann …«
»Sire Aba, Ihr dürft Euch nie verleugnen. Nehmt Euer genetisches Gebot hin: Vampire brauchen menschliches Blut, um zu leben. Das Ökologische kennt keine Scham. Wir sind alle integrierte Bestandteile des Kohlenstoffzyklus.«
»Natürliche
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