Neues vom Erlengrund: Mias schwerster Ritt (Reiterhof Erlengrund)
ließ ihn nicht aus den Augen. Tränen liefen ihr über das Gesicht, während sie sich Halt suchend an ihre Mutter klammerte. Als ihr Vater endlich den Hörer zurücklegte, machte er ein ernstes Gesicht.
»Das war Herr Seefeld, Sebastians Vater«, sagte er. »Ich soll euch grüßen, von ihm und seiner Frau .«
Mia und ihre Mutter nickten stumm. Mia konnte
nichts sagen. Ihre Mutter fragte an ihrer Stelle: »Wie
geht es Sebastian? Waren sie schon bei ihm? Konnten sie ihn sehen ?«
»Ja«, erwiderte Mias Vater. »Sie sind direkt ins Krankenhaus gefahren. Sie durften Sebastian sehen. Er liegt auf der Intensivstation, aber es geht ihm den Umständen entsprechend gut. Sein Zustand ist ernst, aber stabil. Es besteht keine Lebensgefahr .«
»Intensivstation?« Mias Herz krampfte sich zusammen. »Ist es so schlimm ?«
»Ich fürchte ja .« Ihr Vater setzte sich neben sie und strich ihr über die Stirn. »Es ist schlimm. Sebastian ist schwer verletzt. Herr Seefeld sagt, dass sein Becken gebrochen ist und dass er außerdem eine Brustkorbquetschung und Rippenprellungen hat. Er musste operiert worden und liegt jetzt in einem Gipsbett , um den Körper zu stabilisieren. Eine Platzwunde an seinem Hinterkopf musste auch genäht werden. Vermutlich hat er eine Gehirnerschütterung. Deshalb wird er in einem künstlichen Schlaf gehalten. Und darum liegt er auch auf der Intensivstation. Sein Körper muss sich von dem Schock erholen .«
Mia war entsetzt.
»Kann ich zu ihm ?« , fragte sie mit zitternder Stimme. »Bitte! Ich möchte bei ihm sein !«
»Ich fürchte, das wird im Moment nicht gehen«, antwortete ihre Mutter. »Auf die Intensivstation dürfen
nur die engsten Familienangehörigen. Du musst jetzt
stark sein und viel Geduld haben. Wenn du ganz fest
an Sebastian denkst, hilfst du ihm bestimmt .«
Mia nickte. Sie fühlte sich plötzlich müde und leer.
»Ich geb dir ein wenig Baldrian, damit du zur Ruhe kommst .« Ihre Mutter stand auf und kam mit einer Tablette und einem Glas Wasser zurück. »Hier«, sagte sie. »Das wird dir helfen. Morgen sehen wir weiter .«
Mia rollte sich auf dem Sofa zusammen, Schneeflocke im Arm. Ihre Mutter breitete eine weiche Wolldecke über sie. Nach wenigen Minuten war Mia tief erschöpft eingeschlafen. Sie merkte nicht, dass ihr Vater sie vorsichtig hochhob und hinauf in ihr Zimmer trug.
8
Am darauf folgenden Morgen kam in aller Frühe der Hausarzt der Familie. Er sprach mit Mias Eltern und untersuchte Mia. Schließlich verschrieb er ein leichtes Beruhigungsmittel und stellte ein Attest aus, das sie für die restlichen Schultage bis zu den Ferien vom Unterricht befreite. Mia brauchte Zeit und Ruhe, um das Geschehene zu verarbeiten.
Als Dr. Kampe wieder weg war, lag Mia auf ihrem Bett und starrte tränenblind die Decke an. Ihre Augen brannten vom vielen Weinen. Unruhig wälzte sie sich hin und her. Und immer wieder fiel ihr Blick auf das Foto. Das Foto von Sebastian und Pirouetta. Schließlich hielt sie es nicht mehr aus. Sie duschte und schlüpfte anschließend in eine alte, bequeme Jeans und einen weiten Wollpullover. Als sie die Küche betrat, blickte ihre Mutter erstaunt auf.
»Dennis und Kathrin haben angerufen. Sie lassen dich grüßen und fragen, ob sie dich mal besuchen dürfen .«
Mia zögerte. Es war ihr egal, ob ihre Freunde kamen oder nicht. Sie konnten ihr ja doch nicht helfen.
»Eigentlich möchte ich lieber zu Tam«, sagte sie. »Darf ich ?« Nur er kann mir jetzt helfen, wollte sie noch hinzufügen, aber sie behielt es für sich.
»Natürlich!« Ihre Mutter schien sich über den Wunsch
zu freuen. Dr. Kampe hatte gesagt, dass Mia Ablenkung und positive Eindrücke brauchte. Tam war bestimmt die beste Medizin. »Soll ich dich hinfahren ?«
»Nein, danke«, sagte Mia schnell. »Ich nehm das Rad!«
»Warte einen Moment .« Ihre Mutter öffnete eine Schranktür und reichte Mia eine Tüte. »Nimm das harte Brot für Tam und Pirouetta mit .«
Mia nahm die Tüte entgegen, ging hinaus und fuhr los, ohne sich noch einmal umzudrehen. Ihre Mutter stand am Küchenfenster und schaute ihr mit sorgenvollem Gesicht hinterher.
Als Mia ihr Fahrrad wenig später auf dem Hof an die Stallwand lehnte, öffnete sich die Tür des benachbarten Wohnhauses. Mareike und Rolf Lehmann kamen heraus. Beide sahen übernächtigt und traurig aus. Mareike nahm Mia wortlos in den Arm.
»Ich will zu Tam«, sagte Mia. Sie machte sich unauffällig los. Obwohl sie Mareike mochte, war ihr die
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