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Neuigkeiten aus dem Paradies: Ansichten eines Sizilianers

Neuigkeiten aus dem Paradies: Ansichten eines Sizilianers

Titel: Neuigkeiten aus dem Paradies: Ansichten eines Sizilianers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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als ich eines Tages im Sommer 1932, während die Eltern Mittagsschlaf hielten, meinen ganzen Mut zusammennahm und mir einen strengstens verbotenen Schlüssel stibitzte, eine Treppe hinaufstieg und vor der Tür zum Dachboden stehen blieb. Ich ahnte, dass dies ein Ort voller Schätze war, die meine Phantasie beflügeln würden, aber der Zugang war mir strikt untersagt. Der Speicher war nicht nur sehr staubig, sondern auch ziemlich gefährlich: Er hatte keinen Fußboden, und so musste man von einem Balken zum anderen laufen, ohne auf die dünnen Querlatten zu treten, die unter dem Gewicht brechen konnten. Außerdem führte eine kleine Tür, ähnlich der eines Hühnerkäfigs, hinaus aufs Dach.
    Ich fürchtete, die Eltern, die ein Stockwerk tiefer schliefen, könnten von meinem Herzklopfen aufwachen: Um größere Distanz zwischen sie und mich zu legen, öffnete ich die Tür und schlüpfte hinein. Ich hatte es doch gewusst, der Dachboden war ein phantastischer Ort, eine Fundgrube für Träume: ein alter Fotoapparat mit Stativ und daneben Holzkisten voller Glasnegative, ein gigantischer Telefonapparat, der eine ganze Wand einnahm, Walzen für ein mechanisches Klavier, die Felgen von Großvaters Automobil (das Auto selbst, ein Scat, Società Ceirano Automobili Torino, lagerte auf Eisenböcken im Keller unseres Hauses auf dem Land).
    In einer Ecke ein paar Jutesäcke. Ich öffnete einen: Darin befand sich die Zeitung für Reisen zu Wasser und zu Lande in einem Sammelhefter. Für mich ein Fund von unschätzbarem Wert, denn ich las bereits Comics wie L’avventuroso und L’intrepido. Ich öffnete den zweiten Sack. Er war voll gestopft mit Büchern der Verlage Provaglio, Sonzogno (aus der Reihe »Economica«) und Nerbini (die farbig gebundenen Hefte mit den Abenteuern von Fantomas, Petrosino, Nick Carter, Lord Lister). Aufs Geratewohl nahm ich zwei Bände der Sonzogno-Reihe heraus und ging wieder hinunter, die Tür schloss ich hinter mir ab. Ich legte den Schlüssel an seinen Platz zurück, lief in mein Zimmer und warf mich aufs Bett. Das erste Buch war von einem gewissen Conrad; es hieß Almayers Wahn. An den Titel des anderen Buches kann ich mich nicht erinnern, Autor war ein gewisser George Sim. Ich verschlang die Bücher in vier Nachmittagen.
    Heimlich ging ich wieder auf den Dachboden und holte mir zwei weitere Bücher, eines von Ohnet, das andere von Prévost. Schon die ersten Zeilen gefielen mir nicht. Bevor ich die Bücher wieder in den Sack steckte, kramte ich noch zwei Bücher jener Autoren heraus, die zu meinen Lieblingsschriftstellern geworden waren: Sim und Conrad. Zwei Tage später erwischte mich mein Vater beim Lesen. »Warst du auf dem Dachboden?«
    »Ja.«
    »Wenn Mamma das erfährt, haut sie dich windelweich. Wenn du willst, hol ich die Bücher für dich herunter oder kauf dir neue.« So kaufte er mir Bücher einer Kinderromanreihe von Mondadori und gekürzte Fassungen von Klassikern der erzählenden Literatur (damals las ich zum ersten Mal Moby Dick). Aber mir fehlte Sim, und ich bat meinen Vater, mir ein paar Bücher von ihm zu kaufen. Papà konnte keines auftreiben und versuchte mich mit seinen ersten gialli von Mondadori zu trösten, den gelb eingebundenen Kriminalromanen, die er mir »lieh«. Doch im Jahr darauf brachte er mir triumphierend ein Buch von Simenon aus der Reihe »I libri neri«. Ich war enttäuscht: »Aber das ist ein anderer Schriftsteller!« Mein Vater erklärte mir, dass Sim und Simenon ein und dieselbe Person seien. Ich las das Buch und wusste sofort, dass mein Vater die Wahrheit gesagt hatte: Sim und Simenon waren wirklich identisch.
    Das war der Anfang meines gemeinsamen Lebens mit Georges Simenon, den ich allerdings nur ein Mal persönlich getroffen habe. Von da an ließ mich Simenon, obwohl ich wie besessen alles Mögliche las, nicht mehr los; er vermochte sich sogar in Büchern zu verstecken, die beinahe Groschenromane waren. Eines Tages entdeckte ich den anderen Simenon, eingebunden in einen dunkelorangefarbenen Umschlag mit schwarzen Karos, den Simenon von 45 Grad im Schatten, Die bösen Schwestern von Concarneau, Ankunft Allerheiligen. Viele Jahre später, als ich schon für das Fernsehen arbeitete, wurde ich mit der Produktion der Maigret-Serie beauftragt, die Diego Fabbri vorgeschlagen hatte; er wollte dann zusammen mit Romildo Craveri die Drehbücher schreiben. Regie sollte Mario Landi führen.
    Fabbri, Landi und ich waren uns sofort einig, dass Gino Cervi den Maigret spielen

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