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Neuigkeiten aus dem Paradies: Ansichten eines Sizilianers

Neuigkeiten aus dem Paradies: Ansichten eines Sizilianers

Titel: Neuigkeiten aus dem Paradies: Ansichten eines Sizilianers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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könnten Sie dann diese ganze Herrlichkeit genießen, die unter Miniröcken und aus großzügigen Dekolletes hervorlugt? Wenn es nicht so heiß wäre, könnten Sie dann die silbrig feine Musik der römischen Brunnen genießen? In drei Sätzen hat mich die Hitze dreimal das Wort »genießen« schreiben lassen, und glauben Sie mir, das war kein Versehen. Und weil der Herrgott – und nicht der Treibhauseffekt – das so will, wollen wir die Hitze genießen!

EIN SIZILIANISCHES DOPPELLEBEN
    Wenn es von einem Menschen heißt, er habe ein »Doppelleben«, ist gewöhnlich Folgendes gemeint: dass das erste der beiden Leben als ganz und gar achtbar gilt, während das zweite alles andere als achtbar ist. Es gibt hierfür unendlich viele Belege: Man denke nur an den Fall von Doktor Jekyll und Mister Hyde, der in Literatur und Film verewigt ist. Man mag einwenden, dass dieses Beispiel unpassend ist, weil es sich hier nicht um ein Doppelleben, sondern um eine Persönlichkeitsspaltung handelt.
    Aber man braucht sich ja nur an die täglichen Nachrichten zu halten: Leider lesen wir oft von untadeligen, geachteten Familienvätern, die ihre minderjährigen Töchter missbrauchen, von Polizisten, die nachts rauben und morden (die Geschichte der Savi-Brüder und ihrer Bande namens »Uno bianca« ist exemplarisch), von anscheinend sturen, peniblen Richtern, die in Wirklichkeit zutiefst korrupt sind (hier will ich vorsichtshalber keine Beispiele anführen). Wie auch immer, die Schlussfolgerung ist stets die gleiche: Das erste Leben gilt als Fassade und spielt sich daher bei Tageslicht ab, das zweite indes ist ein nächtliches Leben und zutiefst geheimnisvoll.
    Doch hier will ich über solche Doppelleben schreiben, bei denen das zweite Leben nichts Schändliches, Zwielichtiges, Verbrecherisches an sich hat. Ganz im Gegenteil.
    Carmina non dant panem, sagten die alten Römer, und sie hatten völlig Recht. Weder mit Gedichten, noch mit Prosa oder Essays lässt sich das tägliche Brot verdienen. In unserem schönen Europa kann man vom Schreiben nicht leben, ein europäischer Schriftsteller muss, wenn er sich dem Schreiben widmen will, unbedingt auch ein »erstes« Leben führen. Hier mag man mir ebenfalls widersprechen: Es handle sich um Doppelarbeit, nicht um ein Doppelleben.
    Oh nein. Entweder man lebt das Leben, oder man schreibt es, hat Pirandello einmal gesagt. Und wenn man das Leben schreiben will und gleichzeitig gezwungen ist, es zu leben? Dann bleibt einem nichts anderes übrig, als es Franz Kafka gleichzutun, der tagsüber als Jurist ein untadeliger Versicherungsangestellter und nachts Schriftsteller war. Nun ist Kafka als einer der größten Schriftsteller des zwanzigsten Jahrhunderts und nicht als einer der größten Juristen in die Geschichte eingegangen, folglich muss sein wahres Leben das zweite, das heimliche gewesen sein und nicht das erste. Heute will ich über den Fall eines Doppellebens sprechen, der uns direkt angeht, denn es handelt sich um einen Sizilianer, der bei seinen Landsleuten wenig bekannt ist. Ich meine Antonio Pizzuto, der 1893 in Palermo geboren wurde. Pizzuto stammt zwar aus einer Familie, in der Dichtung und klassische Literatur von jeher eine große Rolle spielten, doch er studiert Jura und geht zur Polizei, macht eine hübsche Karriere und wird Polizeipräsident. Nicht nur das, er wird sogar zum Präsidenten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (auch als Interpol bekannt) berufen. Aber in seiner Freizeit oder nachts übersetzt dieser hochrangige »Bulle« Cicero, Platon und Kant. Doch damit nicht genug: Im Ruhestand veröffentlicht er mit Sechsundsechzig Jahren einen Roman, Signorina Rosina. Wichtige Kritiker (nicht nur italienische) feiern das Buch als Ereignis: Es handelt sich gewiss um den innovativsten Roman jener Jahre. In seinem späteren Werk erfindet Pizzuto eine neue Sprache, die musikalischen statt syntaktischen Regeln folgt. Nicht von ungefähr trägt sein fünftes Buch den Titel Sinfonia.
    Vergleichen wir die Daten. 1958 wird der alte sizilianische Fürst Tomasi di Lampedusa der Welt als Autor eines Buches vorgestellt, das praktisch von vornherein ein Klassiker ist; im Jahr darauf wird der alte sizilianische Ex-Polizeipräsident – eben Pizzuto – als »erster Romancier der Avantgarde in der italienischen Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts« bezeichnet. Zwei Sizilianer, zwei Namen unserer Literaturgeschichte.

WAS ICH SIMENON ZU VERDANKEN HABE
    Ich war sieben Jahre alt,

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