Neuigkeiten aus dem Paradies: Ansichten eines Sizilianers
sollte. Cervi willigte ein, bestand aber darauf, dass Andreina Pagnani, mit der er lange gemeinsam gespielt hatte, den Part der Madame Maigret übernahm. Wir brachten Simenon Fotos von den beiden; mit Cervi war er gleich einverstanden, beim Foto der Pagnani zögerte er. »Ist was nicht in Ordnung?«, fragte Fabbri. »Maigret hat jung geheiratet«, antwortete Simenon. Wir verstanden nicht. Simenon erklärte sich mit einer Frage: »Sieht Signora Pagnani nicht eher aus wie das bildhübsche Mädchen, das Maigret damals geheiratet hat?« Wir versprachen, bei der armen Andreina entsprechend mit Schminke nachzuhelfen, und kehrten nach Rom zurück.
Bei der Begegnung mit Simenon war ich nicht aufgeregt, zu sehr war er mir durch seine Bücher vertraut; ich betrachtete ihn als Familienmitglied, als eine Art Onkel (dass sein Familienleben nicht einfach war, erfuhr ich erst später). Die Entstehung des Drehbuchs habe ich von Anfang an mitverfolgt. Fabbri zerlegte ein Buch regelrecht (im wahrsten Sinn des Wortes, denn er riss Seiten heraus und stellte sie anders zusammen) und montierte es für die Fernsehbearbeitung neu. So lernte ich, wie der europäische Kriminalroman funktioniert, so erlernte ich zum Teil das Handwerk.
Damit stehe ich tief in Simenons Schuld. Als ich selber begann, Kriminalromane zu schreiben, galt es, Montalbano von Maigret abzusetzen. Teilweise ist mir das, glaube ich, gelungen, vor allem was den Ermittlungsstil betrifft. Maigret lässt sich auf die Atmosphäre ein und vertraut seinem Gefühl, er versucht sich in den Toten hineinzudenken und identifiziert sich fast mit ihm, um die Motive für das Verbrechen zu begreifen. Montalbano indes versucht nüchtern nachzudenken, die Atmosphäre nicht wieder erstehen zu lassen. Er misstraut dem Gefühl. Ich habe auch ein bisschen in die Trickkiste gegriffen, um den Unterschied zwischen den beiden noch zu betonen (das gestehe ich hier zum ersten Mal). Maigret ist glücklich verheiratet, und seine Frau bekocht ihn meisterlich (wenn er zum Essen nicht in die »Brasserie Dauphine« geht). Auch Montalbano isst gerne: Wäre er mit einer Frau verheiratet, die nicht kochen kann, hätte er nach ein paar Monaten die Scheidung eingereicht, wenn aber Livia eine gute Köchin wäre, hätte ich ein Duplikat des Ehepaares Maigret geliefert. Also habe ich Madame Maigret zweigeteilt: in die Haushälterin Adelina, die für Montalbano kocht, was ihm schmeckt, und in die Freundin Livia, die – wie Sie sehen, aus rein literarischen Gründen – schon sehr lange darauf wartet, dass er sie heiratet.
Mein Leben mit Simenon geht weiter: Ich lese ihn wieder, seit seine Bücher nach und nach in neuer Übersetzung bei Adelphi erscheinen. Und Destinée, als Fortsetzungsroman zwischen 14. März und 3. Mai 1931 in La Stampa abgedruckt-Simenon zeichnete damals noch Sim –, war eine Zeitreise für mich, vielleicht weil er in der alten Übersetzung vorgelegt wurde: Ich war genauso berührt, genauso begeistert wie an einem Nachmittag im Sommer 1932.
MONTALBANO UND DIE REALITÄT: WIE MEINE KRIMIS ENTSTEHEN
Es kommt immer häufiger vor, dass Leser mich fragen: »Wie denken Sie sich eigentlich all diese Geschichten aus, die Sie in Ihren Romanen erzählen?« Manchmal antworte ich mit einer Gegenfrage: »Lesen Sie denn keine Zeitung? Denken Sie nie über die eine oder andere Meldung nach?« Natürlichversuche ich, mir eine Erzählung auszudenken. Und sei es nur die Geschichte eines unglücklichen Mannes um die sechzig, eines Unternehmers, der in zahlreichen Branchen vom Baugewerbe bis zur Metallindustrie tätig ist. Unter anderem besitzt er, und das verleiht der Erzählung den unweigerlichen ironischen Anstrich, eine Straußenfarm. Was ist daran so lustig?, werden Sie sich fragen. Nun, Strauße pflegen bekanntlich den Kopf in den Sand zu stecken und sich so in einen Zustand zu versetzen, in dem sie nichts mehr sehen und hören. Natürlich kann dieser Signore gewisse Angebote aus der Politik nicht ausschlagen, er wird Provinzialrat für eine bestimmte Partei, dann Leiter eines lokalen Gesundheitsamtes. Dort gerät er in die Ermittlungen zweier Staatsanwälte, und tatsächlich wird gegen ihn ein Haftbefehl beantragt. Doch zur Verhaftung kommt es nicht, weil der Oberstaatsanwalt dagegen ist. Wohl zu Recht, schließlich endet der Prozess für meine Hauptfigur, den Unternehmer, mit einem Freispruch. Hätte der Oberstaatsanwalt dem Antrag der beiden Staatsanwälte zugestimmt, säße ein Unschuldiger im
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