Neuigkeiten aus dem Paradies: Ansichten eines Sizilianers
zwischen der Linken und den Christdemokraten, der jede Einigung unmöglich machte. Professor Francesco Renda (er hätte als offizieller Redner der regionalen Gewerkschaftsgruppe Palermo an jenem 1. Mai bei Portella sprechen sollen) zitiert in seiner Storia della Sicilia den Brief, den Außenminister George Marshall zufällig am 1. Mai 1947 an den amerikanischen Botschafter in Rom, James Dunn, schickte: »Das State Department ist zutiefst besorgt über die Verschlechterung der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse Italiens, die offensichtlich zu einer weiteren Stärkung der Kommunisten führen …«
So wurden durch Portella della Ginestra auch die Sorgen des amerikanischen Außenministeriums ein wenig gelindert.
Ich war an diesem 1. Mai zweiundzwanzig Jahre alt und hielt mich in Porto Empedocle auf, meiner Heimatstadt in Sizilien. Bei uns beging man den Tag der Arbeit hauptsächlich mit einer Demonstration durch die Straßen der Stadt, wir liefen hinter den roten Fahnen her und sangen die Internationale oder Bandiera rossa. Als sich die Demonstration auflöste, ging ich mit einem Freund ein Glas Wein trinken und kehrte dann nach Hause zurück. Nach einer Stunde klopfte es an der Tür, es war ein Genosse. Blass und zitternd berichtete er konfus, dass in Portella della Ginestra etwas passiert sei. Wie hatte sich die Nachricht so schnell verbreitet? Damals gab es nur wenige Telefonapparate und kein Fernsehen, und im Radio war noch nichts gemeldet worden. Wir gingen auf die Piazza, wo eine riesige Menschenmenge versammelt war, ich weiß noch, dass sich die Leute ganz erschüttert umarmten, ein Christdemokrat, so alt wie ich, kam auf mich zu und drückte mich an sich. Kurz darauf erfuhren wir die ganze Wahrheit. Es war ein schöner Tag, aber die Sonne verdunkelte sich, mir war, als hätte sich ein kalter Wind erhoben, meine Brust und mein Magen waren wie zugeschnürt, ich lief nach Hause, ging ins Bad und übergab mich. Ich hatte einen unerträglich bitteren Geschmack im Mund. Seit jenem 1. Mai kann ich keinen Wein mehr trinken.
GLANZ UND ELEND DES PISTOLERO-BARONS
Gegen Ende 1945 hörte ich in meiner Stadt mit eigenen Ohren, wie ein ehemaliger Soldat mit vom Alter heiserer, aber unverwechselbar markiger Stimme empört verkündete: »Schlimme Zeiten kommen auf uns zu! Man darf einem Arbeiter nicht mal mehr eine runterhauen.« Wer ihn nach den näheren Umständen fragte, dem erzählte er, dass er am Vormittag mit einem Mechaniker, der sein betagtes Automobil reparieren sollte, gestritten habe, dass der Mann ihm grob geantwortet und er ihn mit einer Ohrfeige Mores gelehrt habe. Daraufhin habe der Mechaniker ihm einen Stoß versetzt und geschrien: »Reiß dich gefälligst zusammen, du alter Trottel! Wag das noch mal, und ich prügel dich windelweich!« Der alte Soldat fügte hinzu, auf diese unerhörte Reaktion hin habe er sich in ärztliche Behandlung begeben müssen, weil er Herzrasen bekommen habe. Diese lang zurückliegende Episode fiel mir wortwörtlich ein, als ich letzte Woche las, dass in Castellana Sicula der Baron Antonio Pucci di Benesichi eine Auseinandersetzung mit einem Arbeiter (mit wem auch sonst!) gehabt hatte, einem gewissen Stefano Gagliardotto. Offenbar hatte der Streit am Telefon begonnen. Der Baron macht Gagliardotto Vorhaltungen, weil der sich bei einem Freund des Barons landwirtschaftliches Gerät besorgt und noch nicht bezahlt hat. Irgendwann werden sie laut. Daher einigen sie sich darauf, die Sache unter vier Augen »zu besprechen«, und verabreden sich unweit des Dorfplatzes. Als Gagliardotto aus dem Auto steigt, erwartet Baron Pucci ihn schon, die Smith & Wesson im Anschlag, und schießt in bester Italowestern-Tradition dreimal auf ihn. Gagliardotto, offenbar nur mit Redekunst bewaffnet, setzt sich wieder ins Auto und rast zu den Carabinieri. Die Carabinieri suchen den Baron zu Hause auf, und der bestätigt voll und ganz die Aussage des Arbeiters. »Natürlich habe ich auf ihn geschossen. Am Telefon hat er mir den Respekt verweigert.« Anstatt sich mit einer Verbeugung in ihre Station zurückzuziehen, verhaften ihn die Carabinieri, längst hoffnungslos verdorben durch Gesetze, die den gebührenden Respekt gegenüber dem Adel nicht mehr kennen.
Der Baron, seiner fünfundsiebzig Jahre wegen unter Hausarrest gestellt, begreift nicht, warum so viel Lärm um nichts gemacht wird. Er versichert, er habe Gagliardotto nicht töten oder verwunden, sondern ihm nur einen gehörigen Schrecken
Weitere Kostenlose Bücher