Neumond: Kriminalroman (German Edition)
schaffen.«
Nina schenkte ihm einen kritischen Blick. Sie hatte dasselbe gegessen und keinerlei Beschwerden.
»Ich kann den armen Otto gut verstehen«, fuhr Leander fort. »Der Glühwein gestern … Die ganze Säure … Die schlechte Qualität … Mir geht es plötzlich auch nicht mehr so super.« In Wirklichkeit war ihm pudelwohl, aber er musste irgendeinen Grund vorschieben, um sich zu verabschieden. Um zwei wollte er sich ja mit Irmgard und Gudrun treffen. »Seid ihr mir böse, wenn ich in die Pension zurückfahre und mich ein bisschen hinlege?«
»Geh ruhig.« Nina beäugte ihren Freund misstrauisch. Leander konnte normalerweise saufen wie ein Loch. Der Kerl hatte einen Magen aus Stein und eine Leber aus Stahl. Dem konnten doch ein wenig Glühwein und ein fettiger Germknödel nichts anhaben. Irgendetwas war hier so faul, dass es bis zum Himmel stank. Überhaupt war hier in St. Gröben irgendwie der Wurm drin … Morde geschahen, alte Knochen tauchten auf, und auch der gestrige Vorfall mit dem autistischen Sohn der Wirtin ließ ihr keine Ruhe. Den ganzen Tag schon brodelte etwas in ihrem Hinterkopf. Es wollte nur nicht an die Oberfläche kommen. Da gab es eine kleine Unstimmigkeit. Etwas, das nicht ganz koscher war. Etwas, das ihr nicht einfallen wollte. Und das nervte! Genauso wie Ottos schlechte Laune und Leanders komisches Getue. Zum Glück war wenigstens Valerie noch da. »Komm, wir gehen zurück auf die Piste und genießen unseren männerfreien Nachmittag.«
»Die Sache mit der Creme können wir leider vergessen«, verkündete Leander, als Irmgard eine Tasse Tee vor ihm abstellte. Er schnupperte skeptisch daran. Genauso roch es im Tiergarten Schönbrunn vor dem Nilpferdgehege.
»Pu-Erh-Tee«, klärte Gudrun ihn auf. »Der verzögert den Alterungsprozess, macht schlank und schützt vor Krebs.«
Er lächelte gequält und nippte an der Tasse. ›Pu‹ kam schon ganz gut hin.
»So ein schmuckes Kerlchen. Hättest du dir nicht eine unkompliziertere Frau suchen können?«, wollte Irmgard wissen.
»Sie ist eigentlich die unkomplizierteste Frau, die ich kenne. Sie ist halt nur ein bisschen unkonventionell.«
»Was macht sie denn beruflich?«
»Sie ist Gerichtsmedizinerin.« Leander wartete, dass die beiden schockiert die Hände vor die rot bemalten Münder schlugen, doch sie nahmen es mit Fassung.
»Gibt es diesen schrecklichen Gruftie-Laden noch?«, fragte Irmgard. »Du weißt schon, neben der Bäckerei Behringer, wo man Totenköpfe und so hässliche schwarze Klamotten kaufen konnte.«
Gudrun schüttelte ihre blonde Lockenpracht. »Nein, der hat zum Glück zugemacht. Da ist mal ein junges Mädel rausgekommen, blass wie eine Wand und das ganze Gesicht voller Metall.« Sie schüttelte sich. »Deine Freundin ist aber nicht so eine, oder?«
Leander verneinte. »Sie geht an die Sonne, lacht viel, feiert keine schwarzen Messen und schändet auch keine Friedhöfe.«
Allgemeine Beruhigung machte sich breit.
»Ich weiß wirklich nicht mehr weiter.« Er würgte noch einen Schluck Nilpferd-Dung-Tee hinunter.
»Kocht sie vielleicht gern?«, Gudrun ließ sich nicht unterkriegen. »Oder mag sie Bastelarbeiten? Oder was ist mit Gartenarbeit?«
»Nein. Nein und nochmals nein.«
»Sammelt sie irgendetwas?«
»No.«
»Mein Gott, Schätzchen, du machst uns fertig. So einen harten Fall hatten wir noch nie.«
»Was ist mit einem Stern? Da gibt es diese Internetseite, auf der man einen Stern nach jemandem benennen kann.« Gudrun strahlte.
»Sorry«, winkte Leander ab. »Aber das geht gar nicht. Das erinnert viel zu sehr an DJ Ötzis ›Ein Stern, der deinen Namen trägt‹ – und davon kriegen wir beim Après-Ski schon genug. Am besten fahre ich zurück in die Pension und durchwühle ihre Sachen auf der Suche nach ein bisschen Inspiration – sie ist eh gerade auf der Piste.«
»Na, das ist doch mal ein Plan, Schätzchen. Mach das, und dann melde dich bei uns.«
»Wow, du bist heute aber ganz schön rasant unterwegs.« Nina wischte sich ein paar Schweißperlen von der Stirn. »Ich komm dir ja kaum hinterher.«
»Ich muss es ausnutzen, dass ich keine Rücksicht auf Otto nehmen muss.« Valerie grinste. »Vielleicht war der männerfreie Nachmittag ja gar keine so üble Idee.«
Die beiden nickten sich verschwörerisch zu und stellten sich in die Schlange vor dem Schlepplift. Vor ihnen stand eine junge Familie mit zwei Kindern. Eines davon, ein kleiner Stöpsel in einem quietschgelben Skianzug und
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