Neun Tage Koenigin
Gegensatz zu Brad sogar spannend gefunden. Doch es war schon ein seltsames Gefühl gewesen, meinen Eltern mitzuteilen, dass Brad und ich beschlossen hätten, nach Manhattan zu ziehen, obwohl ich an der Entscheidung an sich gar nicht beteiligt gewesen war. Meine Eltern hatten mich bedrängt, ihnen die Gründe für den Umzug zu nennen, und ich hatte sie alle aufgezählt, so als wäre der Umzug meine Idee gewesen.
Natürlich hatten sie Brad ein großes Lob dafür ausgesprochen, dass er mehr Zeit mit der Familie verbringen wollte, obwohl der Umzug für sie bedeutete, dass wir jetzt sehr viel weiter von ihnen entfernt wohnten.
Meine Eltern waren schon von dem Moment an von Brad begeistert gewesen, als ich ihn zum ersten Mal mit nach Hause gebracht hatte. Sie gratulierten mir praktisch dazu, dass ich mich in einen Medizinstudenten verliebt hatte, der mir einmal Dinge würde bieten können, die meine Eltern mir nie hatten ermöglichen können. Mein Vater beneidete die beiden Ärzte, mit denen er im Long Island General auf derselben Etage arbeitete. Er machte, genau wie die Ärzte, viele Überstunden, trug einen Pager am Gürtel und die gleichen hellgelben Namensschildchen am Kittel wie sie. Sie wurden gleichermaßen bei Notfällen morgens um zwei aus dem Bett geklingelt oder vom Weihnachtsessen weggerufen oder mussten bei Schneesturm Auto fahren. Aber die Ärzte taten es, um Leben zu retten, und mein Vater nur, um sich um stehen gebliebene Ventilatoren oder undichte Wassertanks zu kümmern. Mein Vater bekam weder das gleiche Gehalt, noch wurde ihm derselbe Respekt entgegengebracht wie seinen Kollegen in OP-Kleidung oder weißen Kitteln.
Als angehender Radiologe war Brad für meine Eltern wie ein Ritter auf einem weißen Ross gewesen. Er war alles, was mein Vater sich einst für sich selbst erträumt und was sich auch meine Mutter für ihn gewünscht hatte.
Ich hatte vor Brad nur zwei Freunde gehabt, von denen einer mein Highschool-Freund Kyle war, ein lockerer Typ, dessen Wunsch, in der Dritten Welt Häuser zu bauen, meine Eltern so gar nicht beeindruckte. Sie hätten fast eine Party veranstaltet, als Kyle und ich uns nach dem Schulabschluss eher zögerlich darauf einigten, für neue Beziehungen offen zu sein, weil ich zum Studium nach Massachusetts zog und er seine Ausbildung in Virginia machte.
Eigentlich war ich gar nicht auf eine feste Beziehung aus, als ich dann ein Jahr später Brad kennenlernte. Ich bekam immer noch ab und zu Briefe von Kyle, der erst einen Berufsfindungskurs im Schreinern gemacht hatte und inzwischen bei einer Entwicklungshilfeorganisation in Kenia arbeitete.
Brad war in vielerlei Hinsicht so ganz anders als Kyle, dass es schon irgendwie seltsam war, wie ich mich überhaupt zu beiden hingezogen fühlen konnte. Kyle suchte das Abenteuer; Brad mochte Zuverlässigkeit und Stetigkeit. Kyle liebte Überraschungen, Brad wusste immer alles schon gern im Voraus. Kyle war unberechenbar, Brad verlässlich. Der eine Mann gab mir das Gefühl, immer am Rande des Unbekannten zu stehen, der andere gab mir Sicherheit. Am Ende entschied ich mich für die Sicherheit.
Ich fragte mich bis zu dem Tag, an dem ich Brad heiratete, ob so die wahre, romantische Liebe aussah: nicht die beinah gebannte Faszination, die ich für Kyle empfunden hatte und die meinen Puls schon beschleunigt hatte, wenn ich ihn nur sah, sondern eine tiefere, stetigere Anziehung für Brad, die mehr mit dem Kopf zu tun hatte als mit dem Herzen und mit Gefühlen.
Am Abend meines Junggesellinnenabschieds hatte ich Leslie gestanden, dass es mir schwerfiele, auch den letzten Rest dieser Faszination und Anziehung für Kyle ganz loszulassen, obwohl ich ihn schon seit zwei Jahren nicht mehr gesehen hatte, und dass ich mich schon so manches Mal gefragt hätte, ob es nicht ein Fehler war, Brad zu heiraten. Sie hatte mich – ohne von der Bowle aufzublicken, die sie gerade zubereitete – gefragt, ob ich mir vorstellen könne, auch in einer Hütte im afrikanischen Busch glücklich zu sein, wo ich im Gebüsch Pipi machen, vor Giftschlangen flüchten und unter einem Moskitonetz schlafen müsse. Darüber hatte ich lachen müssen.
„Ich meine es ganz ernst“, hatte sie gesagt.
Sie hatte zwar auch gelacht, aber dann hatte sie von der Bowle aufgeblickt und gesagt: „Ich meine es wirklich ernst, Jane. So würde dann nämlich dein Leben aussehen.“
An dieses Gespräch hatte mich Leslie vor einem Jahr bei der goldenen Hochzeit unserer Eltern erinnert,
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