Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Gibson
Vom Netzwerk:
acht Jahre her.« Der Finne wirkte plötzlich müde und alt, sehr alt. Er kam Bobby wie eine mumifizierte Riesenratte vor, die mit Federn und verborgenen Drähten bewegt wurde. Er zog eine Armbanduhr mit einem gesprungenen Glas und einem einzelnen speckigen Lederband aus der Tasche und warf einen Blick darauf. »Herrgott. So, mehr hab ich nicht für dich, Lucas. In zwanzig Minuten kommen ein paar Freunde von einer Organbank, mit denen muss ich ein kleines Geschäft abwickeln.«
    Bobby dachte an die Leichen oben. Die lagen schon den ganzen Tag da.

    »He«, sagte der Finne, der seinen Gesichtsausdruck richtig deutete, »Organbanken sind spitze, wenn man was loswerden will. Ich bezahl die ! Die miesen Drecksäcke da oben haben nicht mehr allzu viele Organe übrig, die man aus ihnen rausholen könnte …« Und der Finne lachte.
     
    »Du hast gesagt, er hat’nen guten Draht zu Legba. Und Legba ist der, der mir Glück gebracht haben soll, als ich auf das schwarze Eis gestoßen bin?«
    Hinter dem Honigwabenrand der geodätischen Kuppel blitzte es am Himmel.
    »Ja«, sagte Lucas. Er schien in Gedanken verloren.
    »Aber er scheint überhaupt nichts von dem ganzen Kram zu halten.«
    »Das macht nichts«, sagte Lucas, als der Rolls in Sicht kam. »Zum Geist der Sache hat er immer einen Draht gehabt.«

17
    Der Eichhörnchenwald
    Das Flugzeug war in der Nähe von fließendem Wasser gelandet. Turner hörte es, als er sich im Schlaf oder im Fieber im g-Netz umdrehte, das Plätschern von Wasser auf Stein, eins der ältesten Lieder. Das Flugzeug war schlau, schlau wie ein Fuchs, und hatte festverdrahtete Tarninstinkte. Er spürte, wie es irgendwo in der hässlichen Nacht auf dem Fahrwerk schwankte und vorwärts kroch, so dass Zweige und Äste die dunkle Kanzelhaube streiften und an ihr kratzten. Das Flugzeug kroch in einen dunkelgrünen Schatten und sank dort zu Boden; sein Rumpf surrte und knarrte, als es sich mit dem Bauch voran in Lehmerde und Granit wühlte wie ein Mantarochen in den Sand. Die mimetische Polykarbonatschicht auf Tragflächen und Rumpf wurde gesprenkelt und dunkel und nahm die Farben
und Muster von mondbeschienenem Stein und Waldboden an. Schließlich wurde es wieder still, und das einzige Geräusch war das Murmeln des Baches in seinem Bett …
     
    Er erwachte wie eine Maschine: Augen auf, Bild an, Leere im Kopf. Dann erinnerte er sich an den Tod von Lynch, den roten Blitz, der unter der fest montierten Zielvorrichtung der Smith & Wesson hervorschoss. Die gewölbte Kanzelhaube über ihm war mit mimetisch stilisierten Blättern und Zweigen überzogen. Bleiche Morgendämmerung und das Plätschern von Wasser. Er hatte immer noch Oakeys blaues Arbeitshemd an. Es roch jetzt nach saurem Schweiß, und er hatte am Tag zuvor die Ärmel abgerissen. Die Waffe lag zwischen seinen Beinen und zielte auf den schwarzen Steuerknüppel des Jets. Das g-Netz hing ihm wirr und schlaff um Schultern und Hüften. Er drehte sich um und sah das Mädchen, ein verschmitztes, ovales Gesicht, ein braunes, getrocknetes Blutrinnsal unter einem Nasenloch. Sie war noch immer ohnmächtig, und ihre Lippen waren leicht geöffnet, wie bei einer Puppe.
    »Wo sind wir?«
    »Fünfzehn Meter süd-südöstlich der Landekoordinaten, die Sie angegeben haben«, sagte das Flugzeug. »Sie waren wieder bewusstlos. Ich habe die Tarnoption gewählt.«
    Er langte nach hinten, zog den Interface-Stecker aus seiner Buchse und unterbrach damit die Verbindung mit dem Flugzeug. Benommen schaute er sich im Cockpit um, bis er die manuelle Schaltung für das Kanzeldach fand. Die Servos schoben es ächzend auf, und das Netz aus Polykarbonat-Laub bewegte sich mit. Er schwang ein Bein über den Rand und blickte auf seine Hand, die flach auf den Rumpf neben dem Cockpit aufgestützt war. Das Polykarbonat, das die Grautöne eines Felsbrockens in der Nähe reproduzierte, begann vor seinen Augen, einen handgroßen, fleischfarbenen Fleck zu malen. Er
schwang das zweite Bein über den Rand, der Revolver lag vergessen auf dem Sitz, und glitt auf den Boden ins hohe, frische Gras hinunter. Dann schlief er ein, das Gesicht im Gras, und träumte von fließendem Wasser.
    Nachdem er wieder aufgewacht war, kroch er auf allen vieren durch tiefhängende, taufeuchte Zweige. Schließlich gelangte er auf eine Lichtung, fiel nach vorn und rollte sich auf den Rücken. Seine Arme waren ausgebreitet, als wollte er sich ergeben. Hoch über ihm sprang etwas Winziges, Graubraunes von einem Ast ab,

Weitere Kostenlose Bücher