Neuromancer-Trilogie
ihm Platz nahm und die Tasche zwischen ihren Beinen auf den Boden stellte. »Also, bis dann, Rudy.« Er nickte. »Sally.«
»Tschau«, sagte Sally, den Arm um Rudy gelegt.
»Von wem habt ihr gesprochen?«, wollte Angie wissen, als der Lukendeckel herabfuhr. Turner steckte den Schlüssel ins Zündschloss, ließ die Turbine an und blies damit gleichzeitig die Luftkissenschürze auf. Durch das schmale Seitenfenster sah er, wie Rudy und Sally rasch zurückwichen; der Hund duckte sich beim Turbinenlärm und kläffte. Die Pedale und Hebel waren in Übergröße ausgelegt, damit sie auch im Strahlenschutzanzug bequem zu bedienen waren. Turner manövrierte das Fahrzeug zum Tor hinaus und schwenkte auf die breite Kiesauffahrt ein. Angie ließ ihr Gurtschloss einrasten.
»Von meiner Mutter«, sagte er.
Er brachte die Turbine auf Touren, und sie machten einen Satz nach vorn.
»Ich hab meine Mutter nicht gekannt«, sagte sie, und Turner fiel ein, dass ihr Vater tot war und dass sie es noch nicht wusste. Er trat das Gaspedal durch, und sie brausten über den Kiesweg davon, wobei sie nur knapp einen von Rudys Hunden verfehlten.
Sally hatte Recht gehabt, was die Fahrweise des Hovers betraf. Die Turbine erzeugte eine ständige Vibration. Bei neunzig Stundenkilometern auf dem schrägen Asphalt des alten Highways klapperten ihnen die Zähne. Die verstärkte Luftkissenschürze holperte über die unebenen Flächen; das elegante Dahingleiten wie bei einem zivilen Sportmodell wäre
nur auf einer vollkommen glatten, ebenen Fläche möglich gewesen.
Trotzdem fand Turner Spass daran. Man wählte die Richtung, trat aufs Gas, und schon ging es ab. Über dem vorderen Sichtschlitz hing ein von der Sonne ausgebleichtes, pinkfarbenes Würfelpaar aus Schaumstoff, und das Heulen der Turbine hinter ihm war wie eine feste Masse. Das Mädchen wirkte gelöst; es schaute mit geistesabwesender, beinahe zufriedener Miene in die Landschaft am Straßenrand hinaus, und Turner war froh, dass er nicht mit ihr zu plaudern brauchte. Du bist heiß, dachte er, als er sie aus den Augenwinkeln betrachtete, du bist momentan wahrscheinlich das meistgejagte kleine Ding auf dem Antlitz der Erde, und ich sitze hier mit dir in Rudys Spielzeugpanzer, verfrachte dich ins Sprawl und hab nicht den leisesten Schimmer, was ich jetzt mit dir anfangen soll … Oder wer das Einkaufszentrum hochgejagt hat …
Geh’s noch mal durch, befahl er sich, als sie ins Tal hinabfuhren, geh das Ganze noch mal durch; irgendwann macht es klick. Mitchell hatte Hosaka kontaktiert und gesagt, er wolle wechseln. Hosaka hatte Conroy engagiert und ein Ärzteteam organisiert, das feststellen sollte, ob Mitchell irgendwie präpariert war. Conroy hatte die Teams in Zusammenarbeit mit Turners Agenten zusammengestellt. Turners Agent war eine Stimme in Genf, eine Telefonnummer. Hosaka hatte Allison nach Mexiko geschickt, um ihn zu testen, dann hatte Conroy ihn von da abgeholt. Webber hatte, bevor die Scheiße so richtig losging, gesagt, sie sei Conroys Spitzel vor Ort … Jemand hatte sie mit Leuchtkugeln und Automatikwaffen überfallen, als das Mädchen gerade hereinkam. Das sah in seinen Augen nach Maas aus; es war eine Aktion, wie er sie erwartet hatte, und der gemietete Schutztrupp war dazu dagewesen, mit so was fertigzuwerden. Dann der grellweiße Himmel … Er überlegte, was Rudy über die Rail-Kanone gesagt hatte. Aber wer?
Und dann die Schweinerei im Kopf des Mädchens, das Zeug, das Rudy mit seinem Tomographen und seinem NMR-Bildgeber gefunden hatte. Sie hatte gesagt, ihr Vater habe gar nicht selber rausgewollt.
»Keine Firma«, sagte sie zum Fenster.
»Wie bitte?«
»Du hast keine Firma, oder? Ich meine, du arbeitest für alle, die dich anheuern.«
»Stimmt.«
»Hast du keine Angst?«
»Sicher, aber nicht deshalb.«
»Wir haben immer die Firma gehabt. Mein Vater hat gesagt, mir würde nichts passieren, ich würde bloß zu’ner andern Firma kommen …«
»Da hat er Recht. Dir passiert schon nichts. Ich muss bloß rausfinden, was hier läuft. Dann bring ich dich dahin, wo du hinmusst.«
»Nach Japan?«
»Wohin auch immer.«
»Warst du schon mal da?«
»Klar.«
»Würd’s mir da gefallen?«
»Warum nicht?« Daraufhin verfiel sie wieder in Schweigen, und Turner konzentrierte sich auf die Straße.
»Macht mir Träume«, sagte sie, als er sich vorbeugte und die Scheinwerfer einschaltete. Ihre Stimme war über dem Geheul der Turbine kaum zu hören.
»Was?« Er tat so,
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