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Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Gibson
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Werk.«
Ein Rubin aus kaltem Licht formte sich auf der Handfläche seiner erhobenen Rechten. Er ließ ihn fallen. Eine graue Taube flatterte vom Aufschlagspunkt empor und entschwand in die Schatten. Jemand stieß einen Pfiff aus. Mehr Applaus.
    »Das Werk trägt den Titel Die Puppe .« Riviera senkte die Hände. »Ich möchte die heutige Premiere Lady 3Jane Marie-France Tessier-Ashpool widmen.« Höflicher Applaus brandete auf. Als er verklungen war, schien Rivieras Blick zu ihrem Tisch zu wandern. »Und einer anderen Dame.«
    Die Restaurantbeleuchtung ging kurz aus, so dass nur noch die Kerzen brannten. Rivieras holografische Aura war mit dem Licht verblasst, aber Case konnte ihn noch sehen, wie er mit gebeugtem Kopf dastand.
    Allmählich formierten sich schwache Lichtzeilen, vertikal und horizontal, und bildeten einen offenen Würfel um die Bühne. Die Restaurantbeleuchtung wurde wieder ein wenig heller, doch das Gerüst, das die Bühne umgab, schien wie aus gefrorenem Mondlicht zusammengesetzt. Den Kopf gesenkt, die Augen geschlossen, die Arme steif am Körper angelegt, zitterte Riviera förmlich vor Konzentration. Mit einem Mal füllte sich der gespenstische Würfel und wurde zum Zimmer, dem die vierte Wand fehlte, so dass das Publikum hineingehen konnte.
    Riviera schien sich ein wenig zu entspannen. Er hob den Kopf, hielt die Augen jedoch geschlossen. »Ich lebe schon immer in diesem Zimmer«, sagte er. »Soweit ich mich erinnere, habe ich nie in einem anderen gewohnt.« Die weiße Tünche an den Wänden war vergilbt. Zwei Möbelstücke standen im Zimmer, ein schlichter Holzstuhl und ein weiß lackiertes Eisenbett. Der Lack war gesprungen und abgestoßen, so dass das schwarze Metall zum Vorschein kam. Die Matratze auf dem Bett war unbezogen. Fleckiger Drell mit verblassten braunen Streifen. Eine Glühbirne baumelte an einem verzwirbelten
schwarzen Kabel über dem Bett. Case konnte die dicke Staubschicht auf der oberen Rundung der Birne sehen. Riviera schlug die Augen auf.
    »Ich war immer allein in dem Zimmer gewesen.« Er setzte sich mit dem Gesicht zum Bett auf den Stuhl. Die blauen Kohlen glühten noch in der schwarzen Blüte am Revers. »Ich weiß nicht mehr, wann ich anfing, von ihr zu träumen«, fuhr er fort, »aber ich erinnere mich, dass sie zunächst nur ein Schatten war, ein nebelhaftes Gebilde.«
    Auf dem Bett war etwas. Case kniff die Augen zusammen. Weg.
    »Ich konnte sie nicht festhalten in meinen Gedanken. Aber ich wollte sie festhalten, wollte sie an mich drücken, an mich drücken und mehr …« In dem stillen Restaurant war seine Stimme deutlich zu hören. Eis klirrte in einem Glas. Jemand kicherte. Jemand anders flüsterte auf Japanisch eine Frage. »Wenn ich einen Teil von ihr sichtbar machen könnte, überlegte ich, nur einen winzigen Teil, wenn ich den deutlich sehen könnte, in brillanter Schärfe, dann …«
    Eine Frauenhand lag nun auf der Matratze, die Handfläche nach oben, die Finger bleich. Riviera beugte sich vor, hob die Hand auf und streichelte sie sachte. Die Finger bewegten sich. Riviera führte die Hand an den Mund und leckte die Fingerkuppen. Die Nägel waren burgunderrot lackiert.
    Eine Hand, sah Case, aber keine abgehackte Hand; die Haut spannte sich unversehrt und narbenlos. Ihm fiel das tätowierte, rautenförmige Stück Laborfleisch ein, das er im Schaufenster einer chirurgischen Boutique auf der Ninsei gesehen hatte. Riviera hielt die Hand an seine Lippen und leckte die Handfläche. Die Finger liebkosten zaghaft sein Gesicht. Doch nun lag eine zweite Hand auf dem Bett. Als Riviera danach griff, hielten die Finger der ersten sein Handgelenk wie ein Reif aus Haut und Knochen umschlossen.

    Die Vorstellung lief mit einer eigenen, surrealistischen Logik ab. Als Nächstes kamen die Arme. Dann die Füße. Die Beine. Sehr schöne Beine. Case brummte der Schädel. Seine Kehle war trocken. Er trank den Wein aus.
    Riviera war nun im Bett, nackt. Seine Kleidung war Bestandteil der Projektion gewesen, aber Case erinnerte sich nicht, gesehen zu haben, wie sie verschwand. Die schwarze Blume lag am Fußende des Bettes, nach wie vor von blauem Feuer erfüllt. Dann bildete sich der Rumpf, dem Riviera mit seinen Liebkosungen Gestalt verlieh: weiß, kopflos und vollkommen, mit einem Film aus schimmerndem Schweiß.
    Mollys Körper. Case starrte mit offenem Mund zur Bühne hin. Aber es war nicht Molly. Es war Molly, wie Riviera sie sich vorstellte. Die Brüste stimmten nicht; die Warzen

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