Neva
Augen sind geschlossen, und er scheint zu schlafen. Doch als die Tür zum Techno-Friedhof klickend zufällt, öffnen sich seine Lider, als wäre er eine Maschine, die flimmernd zum Leben erwacht.
»Ganz beeindruckend, was?«, fragt er und unterdrückt ein Gähnen.
»Die meisten Geräte sind mir total fremd.«
»Fortschritt.« Er lacht. Wir kehren auf demselben Weg zurück, den wir gekommen sind. »Wir sollen glauben, dass es uns mit weniger Technik bessergeht«, flüstert er. »Papperlapapp. Ich hab den ganzen Firlefanz gemocht, den ich hatte!«
»Aber wird denn nicht mehr Technik eingesetzt, um uns zu beobachten?«, frage ich. Irgendwie habe ich das Gefühl, das ich ihm trauen kann.
»Quark. Das wollen sie uns doch nur weismachen. Die Hälfte von den Kameras, die uns angeblich überwachen, tut’s nicht einmal.«
»Und was ist mit Ortungsgeräten?« Sobald ich die Frage ausgesprochen habe, wünsche ich mir, ich hätte den Mund gehalten.
Wie angewurzelt bleibt er stehen. Er schwenkt herum, als sei
er
die Überwachungskamera, und sieht in alle Richtungen. »Was soll die Frage?«
Ich zucke die Achseln.
»Die Technik dafür ist da, aber sie wird nicht immer genutzt, wenn Se wissen, was ich meine.«
Weiß ich nicht.
Er deutet die Verwirrung auf meinem Gesicht richtig und erklärt: »Sie implantieren den Chip, aber sie verfolgen nicht jeden.«
»Ach so?« Seine Worte bohren winzige Löcher in die kühle Regierungsfassade.
»Sie suchen sich die Richtigen aus.«
Ich drücke ihn fest an mich.
»Wofür war das denn?«, will er wissen, als ich ihn wieder loslasse.
»Nur so.« Ich lächle ihn an. »Einfach danke. Von hier finde ich selbst zurück.«
Ungläubig zieht er eine Braue hoch. »Wenn Se meinen. Aber in diesem Bau sind schon ganz andere Sterbliche tagelang rumgeirrt.«
»Im Moment fühle ich mich gar nicht so sterblich«, rufe ich ihm zu, während ich durch den Flur laufe. Der eiserne Griff, mit dem die Regierung mich – uns alle – umklammert hält, wie ich bisher glaubte, hat sich ein wenig gelockert.
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15 . Kapitel
D ad überträgt mir immer mehr Verantwortung und gibt mir mehr Spielraum. Die letzten paar Wochen seit Effies Verschwinden sind die reine Hölle. Ich rede nur, wenn man mich anspricht. Ich tue, was man mir sagt, wenn man es mir sagt, und ich tue es so gewissenhaft, wie ich kann. Ohne Sanna, Braydon und Ethan in meinem Leben habe ich nur meine Arbeit – und meine geheime Mission. Ich beschließe, meine Spionageaktivitäten ein wenig auszudehnen. Ich sitze an Effies Platz. Dads Bürotür steht einen Spalt offen, aber er bemerkt es offenbar nicht. Ich beobachte ihn an seinem Schreibtisch: Manchmal liest er, manchmal starrt er einfach ins Leere. Er scheint immer zerstreuter zu werden. Er verlangt von mir, ihm bestimmte Dinge zu holen, doch wenn ich sie ihm bringe, hat er vergessen, dass er darum gebeten hat. Er beginnt Sätze, die er nicht zu Ende bringt. Die Personalabteilung schickt immer wieder Ersatz für Effie, aber Dads Ansprüche und meine Sabotage sorgen dafür, dass die neuen Kräfte stets bloß wenige Tage bleiben.
Jeden Morgen fahre ich mit ihm zur Arbeit, jeden Abend mit ihm nach Hause. Ich stoppe die Zeit, die er braucht, um auf die Toilette zu gehen: morgens fünf Minuten und nachmittags fünf Minuten, pünktlich wie ein Uhrwerk. Jedes Mal, wenn ich in seinem Büro bin, wird mein Blick fast magisch von der Stelle in der Wand angezogen, durch die ich ihn das eine Mal habe kommen sehen. Nichts sieht irgendwie verdächtig aus, aber ich weiß, was ich gesehen habe. Heute hat er mir einen Stapel Bücher gegeben, die ich in die Regale zurückstellen soll. Ich warte bis kurz vor seiner morgendlichen Pinkelpause und ziehe dann den Laborkittel und die Handschuhe über, die ich in seinem Büro tragen soll. Leise mache ich mich an die Arbeit. Er sieht auf die Uhr und betrachtet mich, als wollte er mich bitten, sein Büro zu verlassen, aber ich tue so, als sei ich schwer beschäftigt. Schließlich geht er hinaus. Vermutlich hofft er, ich hätte es nicht bemerkt.
Da ich keine Sekunde verschwenden will, lege ich nicht einmal die Bücher weg. Ich beginne, Paneele und Täfelung abzutasten, und sehe mich immer wieder zur Tür um. Ich berühre die hölzerne Zierleiste in Handhöhe und spüre, wie sie nachgibt. Ich drücke drauf. Nichts passiert. Dann schiebe ich einen Fingernagel in den Spalt zwischen Leiste und Täfelung, und sie gleitet zur Seite. Ich kann kaum atmen. Ich
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