Nevare 01 - Die Schamanenbrücke
Hauch von Bartstoppeln zu spüren ist. Du bist so blond, dass ich gar nicht gedacht hätte, dass du dich schon r a sierst.«
»Ich rasiere mich schon seit fast einem Jahr«, sagte ich, und plötzlich fiel es mir leicht, mit ihr zu sprechen. Ich erhob mich, klopfte den Staub von meinem Knie und setzte mich neben sie auf die Bank. Sie lächelte mich an und fragte: »Lässt du dir auf der Akademie einen Schnurrbart wachsen? Ich habe gehört, dass viele Kade t ten das machen.«
Wehmütig strich ich mir mit der Hand über meinen fast kahlen Schädel. »Nicht im ersten Jahr. Da ist das noch nicht erlaubt. Vielleicht, wenn ich im dritten Jahr bin.«
»Ich finde, du solltest dir einen wachsen lassen«, sagte sie leise, und ich beschloss auf der Stelle, es zu tun.
Es folgte ein kurzes Schweigen, während sie den Blick über den nächtlichen Garten schweifen ließ. »Ich finde es ganz schrecklich, dass du morgen abreist. Wir werden uns wohl für eine lange Zeit nicht sehen«, sagte sie tra u rig.
»Ich komme zu Rosses Hochzeit im späten Frühling nach Hause. Du und deine Familie, ihr werdet doch auch gewiss dazu eingeladen sein.«
»Natürlich. Aber es sind ja noch so viele Monate bis dahin.«
»So lange ist das gar nicht mehr«, versuchte ich sie zu trösten, doch plötzlich kam es auch mir noch sehr lange vor.
Sie wandte den Blick von mir ab. »Ich habe gehört, dass die Mädchen in Alt-Thares alle sehr schön sind und sich stets nach der neuesten Mode von der Küste kleiden. Meine Mutter sagt, sie tragen Moschus und malen sich die Augenlider an, und ihre Reitröcke wären fast Hosen, weil sie sich überhaupt nichts daraus machen würden, dass die Männer ihre Beine sehen.« Besorgt fügte sie hinzu: »Außerdem sollen sie sehr frühreif und sehr forsch sein.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Davon weiß ich nichts. Mag ja sein, dass das wahr ist. Aber ich werde ja in der Akademie sein. Ich bezweifle, dass ich dort überhaupt je eine Frau zu Gesicht bekommen werde.«
»Ach, was bin ich froh!«, rief sie und schaute rasch wieder weg. Ich musste lächeln. Ihr kleiner Ausbruch von Eifersucht schmeichelte mir.
Mein Blick glitt den dunklen Pfad entlang, der zu den Gewächshäusern führte. Ich konnte meine Schwester nicht sehen. Ich wollte nicht von Carsina fortgehen, aber ich kannte meine Pflichten. »Ich schaue jetzt besser mal nach Yaril. So lange kann es nicht dauern, einen Ohrring zu finden.«
»Ich komme mit«, schlug Carsina vor. Wir standen auf, und sie hakte sich bei mir unter. Ihre Hand fühlte sich so leicht und zart an wie ein Vögelchen.
»Du solltest zurück ins Haus gehen, während ich Yaril suche«, sagte ich pflichtschuldig.
»Wirklich?«, fragte sie und schaute mich dabei mit i h ren großen blauen Augen an.
Ich konnte mich nicht dazu durchringen, mit Ja zu antworten, und so gingen wir denn gemeinsam den Pfad hinunter. Er war schmal, und sie musste sich dicht bei mir halten. Ich ging langsam, aus Angst, sie könne im Dunkeln stolpern. Schließlich kamen wir zu einer Stelle, wo der Pfad eine Biegung machte, und wie ich befürchtet hatte, sah ich Yaril dort ganz nah bei Remwar stehen und zu ihm aufschauen. Und dann sah ich mit eigenen Augen, wie er sich zu ihr hinunterbeugte und sie küsste.
Ich erstarrte vor Entsetzen. »Er hat kein Recht dazu!«, stieß ich ungläubig hervor.
Carsinas Griff um meinen Arm wurde ganz fest. »Nicht das geringste Recht!«, flüsterte sie schockiert. »Anders als bei uns gibt es dort keine Übereinkunft zw i schen den Familien. Sie sind einander nicht versprochen worden, so wie wir.«
Ich schaute zu ihr hinunter. Ihre Augen waren ganz groß, sie atmete heftig, durch ihre halb geöffneten Li p pen.
Und dann, ohne so recht zu wissen, wie mir geschah, hielt ich sie plötzlich in den Armen. Ihre Stirn reichte mir gerade bis an die Nase, so dass ich mich hinunterbeugen und den Kopf neigen musste, um sie auf den Mund zu kü s sen. Ihre kleinen Hände ergriffen die Revers meines ne u en Uniformmantels, und als sie den Kuss abbrach, barg sie ihr Gesicht an meiner Hemdbrust, wie überwä l tigt von dem, was wir getan hatten. »Schon gut«, flüsterte ich in die Locken und Nadeln ihres weichen Haars hi n ein. »Wir sind einander versprochen. Wir haben nichts Schändl i ches getan, außer uns einen kleinen Vorg e schmack auf das zu stehlen, was das Leben uns bringen wird.«
Sie löste das Gesicht von meiner Hemdbrust und leh n te sich ein Stück zurück. Ihre Augen
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