Nevare 01 - Die Schamanenbrücke
er sich in die nächste Reihe zu Natred und Trist. Spink sa g te leise: »Es kann nicht leicht sein für Dent, erst uns he r umjagen zu müssen und dann zu seinem eigenen Unte r richt zu rennen.«
»Erwarte nicht, dass ich Mitleid mit dem kleinen Fat z ke habe«, brummte Rory, und dann fuhren wir alle hoch, als unser Ausbilder brüllte: »Aufstehen! Wissen Sie nicht, dass Sie aufstehen müssen, wenn Ihr Ausbilder oder ein Vorgesetzter den Raum betritt? Hoch mit dem Hintern, aber schnell!«
Hauptmann Infal war unser Lehrer für Militärg e schichte. Er ließ uns strammstehen, während er rasch das tägliche Arbeitspensum für die Klasse aufzählte. Er sprach mit einer klaren, gut tragenden Stimme, als sei er es eher gewohnt, im Freien zu sprechen als in geschlo s senen Räumen. Wir sollten schweigen, gerade sitzen und uns Notizen machen, während er dozierte, und jeden Abend fünfundzwanzig Seiten Text lesen. Es würde tä g lich Prüfungen geben und einmal pro Woche eine Kla s senarbeit. Drei aufeinanderfolgende Ergebnisse von w e niger als 75 Prozent bei den Klassenarbeiten würden mit Nachsitzen geahndet. Fünf aufeinanderfolgende Erge b nisse von weniger als 75 Prozent bei den täglichen Pr ü fungen würden einen Verweis auf Bewährung nach sich ziehen. Von der Gruppe eines Kadetten, der unter B e währung stehe, werde erwartet, dass sie ihm dabei helfe, seine Ergebnisse durch fleißiges Lernen zu verbessern. Fehlen im Unterricht sei nur entschuldigt, wenn ein A t test vom Krankenrevier vorgelegt werden könne. Ein Soldat sei nutzlos, wenn er nicht über eine robuste G e sundheit verfüge. Als er dies sagte, fixierte er erst Gord und wandte dann seinen missbilligenden Blick einem jungen Mann zu, der in der zweiten Reihe hustete. Drei Fehltage aus medizinischen Gründen seien Grund für einen Verweis auf Bewährung. Während des Unterrichts sei jede Unterhaltung strikt verboten. Auch sei es den Kadetten untersagt, sich während der Stunden Schrei b materialien auszuborgen oder anderen Studenten solche zu leihen. »Und nun setzen Sie sich still auf Ihren Hi n tern, ohne mit den Stühlen über den Boden zu scharren, und geben Sie Obacht!«
Und mit diesen Worten legte er mit seiner ersten U n terrichtsstunde los. Ich hatte kaum Zeit, Bleistift und P a pier auszupacken. Er gab uns keine Gelegenheit, Fragen zu stellen, sondern dozierte eineinhalb Stunden ununte r brochen. Von Zeit zu Zeit schrieb er Daten oder die ko r rekte Schreibweise von Namen und Orten in großen, schwungvollen Buchstaben an die Tafel hinter ihm an der Wand. Ich schrieb wie wild mit, bemüht, mich nicht von meinem Mitgefühl für Rory ablenken zu lassen, der ke i nen Bleistift hatte und mit verzweifeltem Blick vor se i nem leeren Blatt saß. Spink neben mir kritzelte eifrig. Am Ende der Doppelstunde herrschte der Hauptmann uns erneut gebieterisch an, wir sollten »gefälligst« uns e ren »Hintern heben«, und marschierte dann aus dem Klassenzimmer, ohne uns eines weiteren Blickes zu wü r digen.
»Kann ich … ?«, begann Rory verzweifelt, und bevor er den Satz zu Ende gesprochen hatte, antwortete Spink: »Du kannst heute Abend meine Notizen abschreiben. Brauchst du einen Bleistift für die nächste Stunde?«
Es imponierte mir, dass er, der von uns allen am w e nigsten zu besitzen schien, das Wenige, was er hatte, so bereitwillig teilte.
Wir hatten keine Zeit für weitere Gespräche. Ein U n teroffizier in roter Schärpe, den ich nicht kannte, stand plötzlich im Türrahmen und brüllte uns an, wir sollten sofort draußen Aufstellung nehmen und seine kostbare Zeit nicht weiter vergeuden. Wir gehorchten in aller Eile, und er marschierte umgehend mit uns los. Auf halbem Wege zum Mathegebäude ließ er sich zu Gord zurückfa l len und brüllte auf ihn ein, er solle gefälligst Schritt ha l ten, seine Beine durchstrecken und, »um des gütigen Gottes willen wenigstens versuchen, wie ein Kadett au s zusehen und nicht wie ein Sack Kartoffeln«. Er befahl Gord, den Marschrhythmus vorzugeben, und schrie ihn dann an, die Stimme zu heben wie ein Mann, damit man ihn hören könne, während der dicke Kadett vor Kurza t migkeit japsend kaum ein Wort herausbrachte. Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich insgeheim erleic h tert war, dass Gord die gesamte Aufmerksamkeit des U n teroffiziers auf sich zog, so dass ich von seinen ätzenden Kommentaren verschont blieb.
Mathe und naturkundlicher Unterricht fanden in einem alten Gebäude statt, das Haus
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