Nevare 01 - Die Schamanenbrücke
vergessen haben und fiel gierig über sein neues Opfer her. »Schau dich nur an, Gorge!«, schnauzte er, und Natred prustete los, was Dent jedoch ignorierte. »Steh gerade und zieh deine Wampe ein! Was? Mehr geht nicht? Wer sitzt da drin in deinem Wanst? Oder bist du schwanger?«
Einmal in Fahrt, zeterte Dent in diesem Stil weiter, während Gord sich vor Verlegenheit wand und Natred fast erstickte bei dem Versuch, nicht lauthals loszul a chen. Ich war hin und her gerissen zwischen Mitgefühl für den armen Gord und meiner eigenen unterdrückten Belustigung. Je mehr Gord versuchte, seinen Bauch ei n zuziehen, desto röter lief sein Gesicht an. Ich glaube, er wäre geplatzt, wäre er nicht durch die Ankunft des Rests unserer Gruppe gerettet worden. Sie kamen völlig außer Atem herangesprintet, und Rory hing noch das Hemd hinten heraus. Unteroffizier Dent stürzte sich auf sie wie ein Kater auf ein Nest frisch geworfener Mäuse.
Er fand nicht ein freundliches oder aufmunterndes Wort für einen einzigen Kadetten. Es gab nicht einen, an dem er nichts auszusetzen gehabt hätte, und er propheze i te uns, dass nicht einer von uns das erste Studienjahr als Kadett überstehen würde. Wenn ihm gerade keine neue Beleidigung einfiel, raunzte er einfach: »Und du bist auch nicht besser!«, bevor er sich seinem nächsten Opfer zuwandte. Er stieß, schubste, rempelte und schob uns in Reih und Glied, bis er schließlich entweder zufrieden war oder zu frustriert, um es weiter zu versuchen. Als das Morgenhorn endlich blies, stellte er sich vor uns in Pos i tur.
Dann standen wir da. Ich wusste, dass wir den Blick starr nach vorn richten sollten, aber ich riskierte trotzdem einen Blick zu den anderen. Im Dämmerlicht des frühen Morgens sahen wir alle gleich aus: waldgrüne Unifo r men, hohe Hüte, schwarze Stiefel, große Augen. Nur das Fehlen von Streifen an unseren Ärmeln unterschied uns von den älteren Jahrgängen. Jedes Wohnhaus war separat angetreten. Wir waren die Carneston-Reiter, so benannt nach unserem Wohnheim Haus Carneston, und unsere Farben waren ein braunes Pferd auf grünem Grund. Jedes Wohnhaus beherbergte Studenten aller drei Jahrgänge. Mir fiel auf, dass zwei der Gruppen aus dem ersten Jahr beträchtlich größer waren als die anderen beiden. Ich fragte mich, ob dies mit der Trennung der alten Edelleute von den neuen zusammenhing. Die Fähnriche hatten sich separat auf der rechten Seite des Platzes aufgestellt. Ich beneidete sie um die Paradedegen, die an ihrem Gürtel hingen.
Ich weiß nicht, wie lange wir warteten. Schließlich kamen vier rangniedrige Offiziere, um uns zu inspizi e ren. Jeder nahm sich zwei der Gruppen vor, schritt die Reihen ab und nörgelte an uns herum, während die U n teroffiziere in gebührender Entfernung hinter ihnen sta n den und bei jedem abfälligen Kommentar zusamme n zuckten, als gelte er ihnen persönlich. Mir dämmerte, dass es vermutlich auch so war, dass wir höchstwah r scheinlich Unteroffizier Dents erstes Kommando waren und dass sein Vermögen, uns auf Vordermann zu bri n gen, als maßgeblich für seine Führungsqualität gewertet würde. Fast empfand ich so etwas wie Mitgefühl für ihn und stellte mich noch eine Spur aufrechter hin und richt e te den Blick starr nach vorn.
Nachdem die Grobinspektion beendet war, gingen die Offiziere nach vorn, sagten unseren Unteroffizieren leise und schonungslos, was sie alles falsch gemacht hatten, und bildeten dann eine eigene Reihe. Wieder warteten wir schier endlos, bis wir schließlich mit dem Anblick des herannahenden Obersten Stiet belohnt wurden. Er ging ziemlich flott. Der Kadettenkommandeur ging zu seiner Linken, während der junge Caulder sich zu seiner Rechten bemühte, Schritt mit den beiden Erwachsenen zu halten.
Sie blieben schneidig vor unserer Truppe stehen. Oberst Stiet ließ den Blick über seine in Reih und Glied angetretenen Schützlinge schweifen und stieß einen le i sen Seufzer aus, der zu sagen schien, dass wir keinen Deut besser waren, als er erwartet hatte. Wir standen stramm, als eine kleine Kadetten-Blaskapelle »Auf ins Getümmel« anstimmte, während die gernische Flagge und das Banner der Akademie hochgezogen wurden.
Sodann hielt Oberst Stiet eine Begrüßungsrede und hieß uns auf der Königlichen Kavallaakademie wil l kommen. Er erinnerte uns daran, dass die Kavalla nicht ein einzelner Mann auf einem Pferd war, sondern eine hierarchisch gegliederte Streitmacht, bestehend aus Gruppen, Schwadronen,
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