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Nevare 01 - Die Schamanenbrücke

Titel: Nevare 01 - Die Schamanenbrücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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einzige Gast war, wenn ich sie besuchte. Der nächste Gedanke, der mir daraufhin durch den Kopf schoss, war, dass womöglich auch mein Onkel mich als in Gesellschaft zu wenig vo r zeigbar betrachtete, um mich Freunden der Familie vo r zustellen. Ich fand mich jäh daran erinnert, wie mein e i gener Vater meine Mutter und meine Schwestern von Hauptmann Vaxton ferngehalten hatte, wenn der raube i nige alte Kundschafter uns zu Hause besuchte. Sah meine Tante etwas Ähnliches in mir? Und mein Onkel vielleicht auch?
    Als hätte er meine Gedanken gelesen, versuchte mein Onkel, die gespannte Situation zu entschärfen. »In g e wisser Hinsicht stimme ich mit deiner Tante überein, Nevare, aber nicht aus den Gründen, an die du vielleicht denkst. Obwohl Epiny von ihrem Alter her schon fast erwachsen ist, benimmt sie sich immer noch dermaßen kindlich, um nicht zu sagen, kindisch, dass ich bisher noch nicht daran gedacht habe, von ihr zu erwarten, dass sie die gesellschaftlichen Pflichten einer jungen Frau wahrnimmt.« Er holte Luft, um fortzufahren, aber da fiel ihm meine Tante entrüstet ins Wort.
    »Kindisch! Kindisch? Sie ist sensibel, Sefert! Die Ra t geberin Porilet, das persönliche Medium der Königin höchstselbst, sieht großes Potential in ihr! Aber man muss ihr die Möglichkeit geben, sich langsam zu entfa l ten, so, wie eine Blüte sich der Sonne öffnet oder ein Schmetterling seine neuen Flügel, die noch feucht sind von den Wassern seiner Geburt. Zwinge sie zu früh in die weltlichen Pflichten, die eine Frau tragen muss, und sie wird zu einer eben solchen Frau werden, einer weltlich gesinnten Frau, oberflächlich und dumpf, dazu ve r dammt, wie eine Kuh das Joch unsensibler Männer zu tragen! Alle ihre Talente werden verloren gehen, nicht nur ihr selbst, sondern uns allen. Kindisch! Du erkennst nicht den Unterschied zwischen Unschuld und spiritue l lem Erwachen einerseits und kindlichem Benehmen a n dererseits.« Ihre Stimme wurde mit jedem Wort schriller.
    Mein Onkel stieß abrupt seinen Stuhl vom Tisch weg. »Du hast Recht, ich erkenne den Unterschied zwischen deiner ›Sensibilität‹ und kindischem Benehmen tatsäc h lich nicht. Und ich bin sicher, dass Nevare das auch nicht vermag. Deshalb halte ich es für besser, ihn damit nicht zu konfrontieren. Nevare, würdest du mich bitte in mein Arbeitszimmer begleiten?«
    Mir war ganz elend zumute. Ich war es, der diesen kaum verhohlenen Streit zwischen ihnen heraufbeschw o ren hatte. Ich erhob mich so förmlich wie ich konnte und verbeugte mich vor Lady Burvelle, bevor ich ihren Tisch verließ. Sie wandte den Blick von mir ab und rümpfte verächtlich die Nase. Es war der peinlichste Moment meines ganzen bisherigen Lebens.
    Im Arbeitszimmer angekommen, stammelte ich eine Entschuldigung, aber mein Onkel zuckte nur mit den Schultern und zündete sich eine Zigarre an. »Wenn nicht irgendetwas, das du getan hast, sie beleidigt h ätte, dann hätte sie irgendetwas an meinem Verhalten gefunden, um daran Anstoß zu nehmen. Epiny hat mehrere Male ger a dezu darum gebettelt, dich sehen zu dürfen. Ich denke immer noch, dass es sich arrangieren ließe, trotz des vollgestopften Stundenplans, den ihre Mutter für sie au f gestellt hat. Aber ich warne dich, sie ist genauso, wie ich es beschrieben habe: ein Mädchen, das sich wie ein Kind aufführt. Manchmal glaube ich, Purissa ist reifer als ihre ältere Schwester.«
    Ich konnte ihm wohl kaum sagen, dass der von mir geäußerte Wunsch, Epiny zu sehen, eher ein höflicher Beitrag zur Konversation hatte sein sollen – so dringend wollte ich sie gar nicht sehen. In Wahrheit hatte Epiny bei mir in erster Linie den Eindruck von Flatterhaftigkeit und Torheit hinterlassen. Ich spürte nicht das Bedürfnis, Zeit mit ihr zu verbringen. Aber mir blieb in dieser Situ a tion nichts anderes übrig als zu lächeln und meinem O n kel zu versichern, dass ich mich darauf freuen würde, während ich zugleich inbrünstig hoffte, dass es dazu nicht kam und ich somit jeglichem Konflikt mit meiner Tante aus dem Weg gehen konnte.
    Nach diesem Siebttag-Intermezzo war es für mich g e radezu eine Erleichterung, in die Akademie und zu me i nen Kommilitonen zurückkehren zu können. Von jener Woche an traten in unserem Stundenplan zu meinem Entzücken Drillübungen zu Pferde an die Stelle der bi s herigen Fußmärsche und Exerzierübungen. Die Tiere, die sie uns zum Reiten gaben, waren brav, braun und sowohl vom Temperament als auch vom

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