Nevare 01 - Die Schamanenbrücke
keine solche Einladung erhielt; gleichwohl weigerte ich mich standhaft, meinen Stolz oder meine Freundschaft mit Spink zu kompromittieren, etwa indem ich Klein-Caulder um den Bart gegangen wäre, um seine Aufmerksamkeit zu erlangen.
Hauptsächlich dank der weisen Voraussicht meines Vaters, mich gut zu präparieren, schnitt ich in meinen Fächern zufriedenstellend ab, als es auf den Winter z u ging. Nicht alle meine Kommilitonen schlugen sich so gut. Spink hatte weiterhin große Schwierigkeiten in M a the. Sein wackliges Fundament in den Grundrechenarten stellte ein zusätzliches Hindernis für ihn dar, denn selbst wenn er schwierige Algebraaufgaben begriff, hing die Richtigkeit seiner Lösungen doch immer noch von seiner Fähigkeit, exakt zu rechnen, ab. Rory hatte Mühe mit Zeichnen und Caleb mit Sprache. Wir halfen einander, so gut wir konnten, jeder nach seinen Fähigkeiten, und ler n ten dabei, dass es keine Schande war, wenn man gege n über seinen Freunden eine Schwäche zeigte. Trotz der Spannungen zwischen Spink und Trist wuchsen wir alles in allem zu einer verschworenen Einheit zusammen, g e nauso wie unsere Ausbilder und Offiziere es gewollt ha t ten.
Mir gefielen unsere Nachmittagskurse in Pionierwesen und Zeichnen am besten. Hauptmann Maw war nach meinem Empfinden ein unparteiischer Lehrer, der keinen Unterschied zwischen altem und neuem Adel machte. Er schien Spink, der sich große Mühe im Unterricht gab, sehr zu mögen, aber auch ich wurde schnell zu so etwas wie einem seiner Lieblingsschüler. Durch die Arbeit auf dem Besitz meines Vaters war ich z wangsläufig mit vi e len Aufgaben in Berührung gekommen, die praktisches Geschick im Konstruieren und Bauen erforderten. Und so strahlte ich denn auch vor Stolz, als Hauptmann Maw mich eines Tages als »einen Ingenieur in dreckigen Sti e feln, genau wie ich« bezeichnete, womit er sagen wollte, dass meine Fähigkeiten aus der praktischen Betätigung erwachsen und nicht aus Büchern angelesen waren. Er stellte uns gern Aufgaben, die unorthodoxe Lösungen erforderten, und er drohte uns oft, dass es »eines Tages passieren kann, dass Sie einen Erdwall ohne Schaufeln errichten oder eine Brücke bauen müssen, ohne Holz oder behauenen Stein zur Verfügung zu haben.«
Eines Nachmittags zeichnete ich mich dadurch aus, dass ich das Modell eines Floßes konstruierte, das au s schließlich aus von Schnüren zusammengehaltenen »Baumstämmen« bestand. Hauptmann Maw legte auf einem Wassertisch eine Reihe von Stromschnellen an, indem er einen Eimer Wasser eine Rampe hinunterkip p te. Mein Floß war das einzige, das seine Fracht, eine Gruppe Bleisoldaten, sicher und unbeschadet nach unten brachte. Für diese Leistung bekam ich die Bestnote und war vor Freude immer noch ganz aus dem Häuschen, als er mich bat, nach dem Unterricht noch einen Moment zu bleiben, er habe da noch etwas, worüber er mit mir spr e chen wolle.
Als die anderen gegangen waren und wir gemeinsam die Flöße, die Bleisoldaten und die Eimer wegräumten, schockierte er mich mit der ernst gemeinten Frage: »N e vare, haben Sie schon einmal daran gedacht, Kavall a kundschafter zu werden?«
»Nein, Sir!«, antwortete ich in promptem, aufricht i gem Entsetzen.
Er lächelte über meinen fast angewiderten G e sichtsausdruck. »Und warum nicht, Kadett Burvelle?«
»Weil ich, nun, weil ich Offizier werden und mich im Dienst für meinen König auszeichnen möchte, und weil ich will, dass meine Familie stolz auf mich ist und …«
Mein Redefluss versiegte, als er mir ruhig ins Wort fiel: »Und alles das könnten Sie genauso gut als Kun d schafter wie als Leutnant in Uniform.« Er räusperte sich und sagte ganz leise, als wolle er mir ein Geheimnis ve r raten: »Ich kenne eine ganze Reihe guter Männer, die in den Grenzforts stationiert sind. Eine Empfehlung von mir würde Ihnen das Tor dorthin weit öffnen. Sie brauchten nicht hier an der Akademie zu bleiben und den größten Teil Ihrer Zeit damit zu verbringen, die Nase in Ihre Lehrbücher zu stecken. In sechs Wochen könnten Sie frei sein und Ihrem König auf dem offenen Land dienen.«
»Aber Sir!« Ich hielt inne, als mir bewusst wurde, dass ich es hier mit einem Offizier zu tun hatte. Einem Off i zier hatte ich keine Widerworte zu geben, und eine Me i nung hatte ich ihm gegenüber auch erst dann zu äußern, wenn er mich dazu aufforderte.
»Reden Sie frei von der Leber weg«, ermunterte er mich, ging zurück zu seinem Schreibtisch und setzte
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