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Nevare 01 - Die Schamanenbrücke

Titel: Nevare 01 - Die Schamanenbrücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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Familie wechselte sich mit dem Bri e feschreiben ab, so dass die Chancen für mich gut sta n den, pro Woche mindestens einen Brief zu bekommen. Bis dahin hatten Yarils Briefe eher pflichtschuldig und ziemlich oberflächlich geklungen. Das Schreiben, das in jener Woche kam, war dicker als gewöhnlich. Ich wog den Umschlag in der Hand, und als ich ihn öffnete, stieg mir ein Duft in die Nase, der mir ungewöhnlich und z u gleich doch wunderbar vertraut vorkam. Es war der Duft von Gardenien, und ich fühlte mich sofort zurückversetzt in meine letzte Nacht daheim und meinen Spaziergang durch den Garten mit Carsina.
    Der Umschlag enthielt den wie gewohnt pflichtschu l dig aufgesetzten Brief von meiner Schwester. Aber in ihm steckte noch ein zweiter Brief. Die Ränder des B o gens waren akribisch mit Schmetterlingen und Blumen bemalt worden. Carsina hatte violette Tinte benutzt, und ihre Handschrift war fast kindlich groß und reich ve r schnörkelt. Ihre Rechtschreibfehler wären mir in jedem anderen Zusammenhang geradezu lächerlich vorgeko m men, doch irgendwie mehrten sie noch den Liebreiz ihrer Botschaft, in der sie mir mitteilte, dass »jeder moment mir wie eine Ehwigkeit erscheint, biss ich dein Gesicht wieder sehen kann«. Die Sorgfalt, die sie auf die Illustr a tionen verwendet hatte, zeigte mir, dass sie Stunden für diese zwei Seiten gebraucht hatte, und ich widmete mich der Betrachtung jedes der kleinen Bilder mit der gebü h renden Aufmerksamkeit. Sie hatte ein wunderbares Auge für Details, und ich konnte jede Einzelne der Blumen benennen, die sie so sorgfältig wiedergegeben hatte.
    In ihrem Brief an mich hatte Yaril Carsinas Botschaft mit keinem Wort erwähnt, weshalb ich in meiner unmi t telbaren Antwort, auch nicht darauf Bezug nahm. Ich schrieb ihr, ich hätte gehört, dass Erstjährler am Ende des Semesters manchmal einen Tag Ausgang bekamen, den sie zu einem Besuch der Stadt nutzen konnten, und dass ich ihr gern etwas Spitze oder irgendwelchen anderen hübschen Krimskrams aus der Stadt mitbringen würde, wenn sie mir sagte, woran sie Spaß hätte, weil es mir stets eine große Freude sei, zu einer Schwester freundlich zu sein, die mir s chon so viele Gefälligkeiten erwiesen habe. Carsinas Vater würde meinen Brief wahrscheinlich nicht zu Gesicht bekommen; aber meine Schwester mochte immerhin der Versuchung erliegen, meinen Brief zu lesen, bevor sie ihn an Carsina weitergab. Aus diesem Grunde brauchte ich zwei ganze qualvolle Tage dafür, meinen ersten ausführlichen Brief an meine Liebste au f zusetzen.
    Ich versuchte, Männlichkeit mit Zärtlichkeit, Respekt mit Inbrunst und Leidenschaft mit Sachlichkeit in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen. Ich sprach von u n serer gemeinsamen Zukunft, von den Kindern, die wir haben würden, von dem Heim, das wir zusammen grü n den und einrichten würden. Als ich merkte, dass ich auf fünf eng beschriebene Seiten gekommen war, hörte ich auf. Rasch faltete ich die Blätter zusammen, versiegelte sie getrennt von meinem Brief an meine Schwester und schob sie zwischen die für meine Schwester bestimmten Seiten. Ich hoffte, dass meine Eltern weder die untyp i sche Länge bemerken würden noch die Promptheit me i ner Antwort. Erfüllt von starken Schuldgefühlen setzte ich sodann einen ähnlich ausführlichen und detaillierten Brief über den Unterricht und die Entscheidung der Ak a demie bezüglich unserer Pferde auf und sandte ihn in der Hoffnung an meinen Vater, dass er als Ablenkung von meinem Brief an Yaril dienen würde.
    Ich hätte nie geglaubt, dass der Erhalt eines Briefes von Carsina und seine Beantwortung mich so sehr able n ken würden. Nachdem ich ihn aufgegeben hatte, konnte ich einfach nicht aufhören, darüber nachzudenken und mir den Kopf darüber zu zerbrechen, wie viele Tage er brauchen würde, um mit dem Postboot zu ihr zu gela n gen, und ob er lange bei meiner Schwester würde heru m liegen müssen, bis ein Besuch die beiden zusammenbri n gen würde und Yaril ihn ihr aushändigen konnte. Nachts lag ich wach und stellte mir vor, wie sie ihn empfing, und fragte mich, ob sie ihn öffnen würde, während Yaril bei ihr war, oder ob sie wartete, bis sie allein war und ihre Ruhe hatte. Am liebsten wäre mir beides gewesen, denn wenn sie einen Antwortbrief schrieb, solange Yaril noch bei ihr zu Besuch war, konnte Yaril ihn sofort an mich weiterleiten, doch gleichzeitig hoffte ich, dass sie ihn allein lesen und seinen Inhalt für sich behalten würde.

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