Nevare 01 - Die Schamanenbrücke
sich. Während ich sprach, spielte er mit einem kleinen M o dellkatapult.
»Hauptmann Maw, ein Kundschafter besitzt nicht den Status eines regulären Offiziers. Er befehligt niemanden außer sich selbst. Er operiert eigenständig. Nicht selten stammt er aus den Mannschaftsdienstgraden oder ist ein Mann, der von seiner Familie enterbt worden ist. Man erwartet von ihm, dass er die Bevölkerung in den erobe r ten Gebieten genau kennt, ihre Sprache kann, mit ihren Gewohnheiten, Sitten und Gebräuchen bestens vertraut ist … Manchmal nehmen sich Kundschafter sogar eine Flachländerin zur Frau, haben Kinder mit ihr und ko m men nur sporadisch in die Forts, um sich zum Dienst zu melden. Sie sind … sie sind keine Gentlemen, Sir. Ich bin sicher, dass ein solcher Dienst und ein solches Leben nicht das ist, was mein Vater sich für mich vorgestellt hat.«
»Vielleicht nicht«, räumte er nach einem Moment des Nachdenkens ein. »Aber ich will Ihnen Folgendes klar und deutlich sagen, junger Mann. Sie haben ein Talent zu innovativem und unabhängigem Denken. Derlei Fähi g keiten werden bei einem Leutnant nicht sonderlich g e schätzt. Im Gegenteil, Ihr Vorgesetzter wird alles in se i nen Kräften Stehende tun, um diese Gaben zu unterdrü c ken, denn ein unabhängig denkender, freigeistiger Leu t nant fügt sich nicht gut in eine wie geschmiert funkti o nierende Befehlskette. Kadett Burvelle, Sie sind weder zum Rädchen in einem Getriebe geschaffen noch zum Glied in einer Kette. Sie werden dort unglücklich sein und infolge davon die unter Ihnen und über Ihnen St e henden ebenfalls unglücklich machen. Ich glaube, der gütige Gott hat Sie dazu geschaffen, eigenständig zu handeln. Sie mögen wohl ein Soldatensohn sein, und Ihr Vater mag durch das Wort des Königs ein Edelmann sein. Aber fassen Sie es nicht als Schande auf, wenn ich Ihnen dies sage: Wenn ich Sie anschaue, sehe ich keinen Offizier. Das ist keine Beleidigung. Das ist meine ehrl i che Meinung. Ich halte Sie für brillant, für in d er Lage, immer wieder auf beiden Füßen zu landen, ganz gleich, was für Streiche das Leben Ihnen spielen mag. Aber ich sehe Sie nicht als Offizier.« Er lächelte mich freundlich an, und er sah mehr wie ein Onkel aus denn wie ein Ak a demiedozent, als er mich fragte: »Sehen Sie sich wirklich in fünf Jahren als Offizier?«
Ich straffte mich, reckte die Schultern und presste meine Worte vorbei an einem Kloß der Enttäuschung, der mir im Halse steckte. »Ja, Sir. Mit allem, was in mir ist, strebe ich danach, genau das zu werden.«
Er hörte auf, mit dem Katapult zu spielen, und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Schließlich zog er seine buschigen grauen Augenbrauen hoch und seufzte res i gniert. »Nun denn. Dann sollten Sie alles tun, was in I h ren Kräften steht, um dieses Ziel zu erreichen. Ich hoffe, es entspricht Ihren Erwartungen, Kadett. Ich hoffe, die Kavalla wird Sie nicht verlieren, wenn Sie feststellen, dass die Grenzen einer solchen Rolle enger sind, als Sie geglaubt haben.«
»Ich bin ein Mann der Kavalla, Sir. Dazu geboren und dazu erzogen.«
Er nickte bedächtig. »Ja, das sind Sie wohl. Ich möc h te Ihnen etwas mit auf den Weg geben, Kadett. Bedenken Sie, dass Ihr Floß die Stromschnellen mitsamt seiner Fracht deshalb unbeschadet überwunden hat, weil Sie so klug waren, Ihrer Konstruktion genügend Flexibilität mitzugeben. Tun Sie das Gleiche mit sich selbst und mit Ihren Ambitionen, Kadett. Lassen Sie ihnen genügend Spielraum, sich zu biegen, ohne Sie zu zerbrechen. A b treten.«
Und mit diesen Worten entließ er mich in den sche i denden Nachmittag. Ich war nicht sicher, ob seine Worte als Kompliment gemeint gewesen waren oder als Ma h nung, meinen Ehrgeiz zu zügeln. Ich sprach mit niema n dem darüber.
Nach den ersten zwei Monaten bekamen diejenigen unter uns, die gute Leistungen erbracht hatten, jeden zweiten Siebttag einen Tag freien Ausgang für Verwan d tenbesuche. Es war eine willkommene Abwechslung von den bisherigen »freien Tagen«, die unser Lehrplan uns gewährt hatte. Alle Erstjährler hatten auch schon vorher einmal einen freien Siebttag gehabt, aber »frei« war di e ser Tag nur dem Namen nach gewesen. Man hatte uns befohlen, an unserem »freien Tag« eine musikalische Darbietung von Lady Midownes Historischer Gesel l schaft zu besuchen. Zirka zwanzig adlige Damen und ihre Töchter hatten Originalkompositionen zu Gehör g e bracht, die von bedeutenden Ereignissen der gernischen
Weitere Kostenlose Bücher