Nevare 01 - Die Schamanenbrücke
landbesitzender Edler seinem König schuldig war, bestand darin, dass er eine Poststation für die königlichen Boten unterhielt, wo sie die Pferde wec h seln konnten. Oft lud mein Vater die reitenden Boten zum Abendessen in sein Haus ein, sobald sie ihre Bo t schaften weitergegeben hatten, denn er ließ sich gern über die Ereignisse an der Grenze auf dem Laufenden halten, und die Boten freuten sich ihrerseits über seine Gastfreundschaft in dem kargen Land. Ich hoffte, dass wir auch heute zum Abendessen Gesellschaft haben wü r den; das belebte immer so schön das Tischgespräch.
Auf der Uferstraße kam ein Mann auf seinem Pferd im Galopp herangesprengt. Eine dünne Staubfahne hing in der stillen Luft hinter ihm, und das Pferd rannte auf eine Weise, die mehr von Sporen und Gerte kündete als von überschäumender Lauffreude. Selbst auf die Entfernung k onnte ich den wehenden gelben Umhang sehen, der den Reiter als Kurier des Königs auswies und jeden Bürger an seine Pflicht gemahnte, ihm in jeder Form zu helfen, damit er sein Ziel so schnell als irgend möglich erreichte.
Die Wärter unten an der Poststation hatten den Reiter ebenfalls bereits erspäht. Ich hörte das Läuten der Glo c ke, und im nächsten Moment erwachte die Besatzung der Station zum Leben. Einer rannte in den Stall, und als er einen Augenblick später wieder herauskam, führte er ein langbeiniges Pferd am Zügel, das einen winzigen Kurie r pferdsattel trug. Während er das frische Pferd bereithielt, kam ein anderer mit einem Wasserschlauch und einem Essenspaket für den Reiter aus der Station gelaufen. Ein frischer Reiter trat heraus, das Gesicht bereits verhüllt zum Schutz gegen Staub. Sein kurzes, leuchtend gelbes Cape flatterte in der Brise, die vom Fluss zu ihm he r überwehte. Er stellte sich neben sein Pferd und wartete, dass der ankommende Reiter die Botschaft an ihn weite r reichte.
Wir beobachteten, wie der Bote sich der Station nähe r te, und wurden Zeuge einer außergewöhnlichen, e r schreckenden Begebenheit. Der Bote zügelte sein Pferd erst, als es auf gleicher Höhe mit dem frischen Pferd war. Ohne dass seine Füße den Boden berührten, wechselte er vom einen Sattel in den anderen über. Er rief den wa r tenden Männern etwas zu, beugte sich hinunter, um den Wasserschlauch und das Proviantpaket zu erraffen, und gab dem neuen Pferd die Sporen. Ehe die Umstehenden so recht begriffen hatten, was los war, war er auch schon davongestoben, mitten durch den Sträflingszug hindurc h sprengend. Aneinandergekettete Männer und berittene Aufpasser spritzten aus dem Weg, als der Kurier durch sie hindurchpflügte. Empörte Rufe und Schmerzen s schreie brandeten auf, als einige der Sträflinge von einem der berittenen Aufpasser getreten wurden, als sie nicht schnell genug Platz machten. Ohne auch nur einen Blick auf das wimmelnde Chaos in seinem Rücken geworfen zu haben, das er angerichtet hatte, schrumpfte der Kurier rasch zu einem winzigen Punkt auf der Straße, die nach Westen führte. Ich starrte ihm noch einen Moment lang hinterher, bevor ich meinen Blick wieder zur Poststation wandte. Ein Stallbursche versuchte, das völlig erschöpfte Pferd des Boten wegzuführen, aber das Pferd sackte plötzlich auf die Vorderläufe und kippte dann auf die Seite, in den Staub, wo es liegenblieb und kläglich mit den Hufen in die Luft trat, ein Bild des Jammers.
»Er hat es zu Schanden geritten«, sagte Duril mit kenntnisreichem Blick »Es wird nie wieder einen Kurier tragen. Das arme Vieh kann froh sein, wenn es am Leben bleibt.«
»Ich frage mich, was für eine furchtbar wichtige Bo t schaft das wohl gewesen sein mag, dass er sein Pferd zu Schanden ritt und sie nicht einmal an einen frischen Re i ter weiterreichen mochte.« In meinem Kopf schwirrten bereits alle erdenklichen Möglichkeiten herum. Ich malte mir nächtliche Attacken der Fleck auf die Wildland-Grenzstädte aus, oder eine Erhebung der Kidona.
»Das ist allein Sache des Königs«, wies mich Sergeant Duril barsch zurecht. Plötzlich sahen wir, wie einer der Männer sich aus der Gruppe löste und mit etwas in der Hand zum Haus rannte. Eine separate Botschaft für me i nen Vater? Er kannte die meisten Kommandanten der Forts an der Ostgrenze, und er war fast genauso gut über die Lage an der Grenze informiert wie der König selbst. Ich sah, wie Neugier in den Augen des alten Sergeanten aufleuchtete. Duril blickte zur Sonne und verkündete abrupt: »Es wird Zeit, dass du deine Nase
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