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Nevare 01 - Die Schamanenbrücke

Titel: Nevare 01 - Die Schamanenbrücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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Die Wut, die Oberst Stiet nicht gegen Lord Tiber richten konnte, ließ er jetzt an mir aus.
    »Jawohl, Sir. Verzeihung, Sir.« Ich konnte endlich meine Beine wieder bewegen und verließ den Raum. Als ich zur Tür hinausging, hörte ich, wie das Gebrüll we i terging. Selbst durch die geschlossene Tür verfolgte mich der Lärm der Auseinandersetzung. Ich ging den Gang hinunter, bog um die Ecke und blieb dann stehen, um mich kurz gegen die Wand zu lehnen. Natürlich hätte ich sofort zum Doktor gehen und ihm sagen müssen, was ich gesehen hatte. Jetzt schien mir das vollkommen klar, aber in der Situation selbst war mir alles nur wie vage Ve r dächtigungen und Vermutungen vorgekommen, ohne irgendwelche handfeste Tatsachen oder gar Beweise. Jetzt hatte ich mir einen blauen Brief an meinen Vater eingehandelt, einen Vermerk in meiner Akte, den Ruf einer Petze unter den Kadetten aus dem alten Adel und den Ruf eines Feiglings unter den Kadetten aus dem ne u en Adel. Ich war sicher, dass Tiber und sein Vater es so sahen; ich hatte geschwiegen, als ich seinen Namen hätte reinwaschen können, weil ich Angst hatte, mich gegen die zu stellen, die ihn zusammengeschlagen hatten. So musste es sich für sie darstellen. So stellte es sich mir jetzt dar. Und Caulder würde mit Sicherheit allen seinen Freunden sagen, dass ich Namen genannt hatte, während Tiber es offensichtlich nicht getan hatte. Ich stapfte in meine Klasse zurück und verbrachte den Rest des Tages in einer Art Betäubungszustand.
    Während der darauffolgenden Tagen machten Spink, Gord und ich eine Art Spießrutenlauf durch. Ständig k a men von irgendwoher aus dem Hintergrund leise Buhrufe oder Pfiffe, wenn wir irgendwohin gingen, oder es flogen uns Papierkügelchen an den Kopf, die scheinbar aus dem Nichts kamen, wenn wir in der Bibliothek saßen. Ein paarmal wurden wir auch aus dem Hinterhalt bespuckt. Einmal saß ich allein in der Bibliothek und ließ kurz mein Buch und mein Schreibheft auf dem Tisch liegen, um ein Nachschlagewerk zu suchen. Als ich zurückkam, war mein Heft mit den Hausaufgaben zerrissen und schmutzige Wörter waren q uer über meinen Text gekr a kelt. Dieser Vorfall deprimierte mich sehr, und ich b e kam immer mehr das Gefühl, dass ich alles falsch g e macht, dass ich meine Jahre auf der Akademie ordentlich vermasselt hatte, was mir für den Rest meiner Karriere nachhängen würde. Während andere Freundschaften fürs Leben schlossen, hatte ich mich selbst allem Anschein nach darauf festgelegt, nur zwei enge Freunde zu haben. Und einen davon konnte ich nicht einmal besonders gut leiden.
    Ich schrieb jeden Abend meinem Onkel, wie er es sich erbeten hatte, und erhielt regelmäßig Antwortbriefe von ihm. Ich war ehrlich, wie er es mir aufgetragen hatte, aber ich konnte mich dennoch nicht von dem Gefühl b e freien, dass ich ihm die Ohren volljammerte. Er ermu n terte mich immer wieder, fest zu meinen Kameraden zu halten und mir stets vor Augen zu führen, dass wir im besten Interesse der Akademie und der Kavalla hande l ten, wenn wir solche Missetaten meldeten, aber es fiel mir schwer, seinen aufmunternden Worten Glauben zu schenken. Ich hatte das Gefühl, ständig Opfer einer hi n terhältigen Attacke werden zu können. Einmal traf mich ein Schneeball, der mehr aus Eis als aus Schnee bestand, ein anderes Mal fand ich mein Modell im Zeichensaal zerstört vor, wieder ein anderes Mal war ein übles Schimpfwort quer über die Rückseite eines meiner Briefe gekrakelt. Unsere Zimmer blieben indes von weiteren Vandalismus-Attacken verschont, weil Sergeant Rufet seine Wachsamkeit verschärft hatte, aber das war nur ein schwacher Trost. Dennoch freute ich mich auf meinen täglichen Brief von meinem Onkel, als wäre er eine Re t tungsleine, die mich mit der Welt außerhalb der Akad e mie verband. Ich hatte meinem Vater einen Brief g e schrieben, in dem ich den Vorfall aus meiner Sicht g e schildert hatte, und mein Onkel versicherte mir, dass auch er meinem Vater alles mitgeteilt habe, was er wus s te. Trotzdem erhielt ich bald einen sehr kühlen Brief von meinem Vater, in dem er mich ermahnte, ehrlich und über jeden Tadel erhaben zu sein bei allem, was ich täte, um keine Schande über den Namen unserer Familie zu bringen. Er schrieb, wir würden die Angelegenheit im Frühling, wenn ich zur Hochzeit meines Bruders nach Hause käme, in allen Einzelheiten besprechen. Außerdem schrieb er, ich hätte ihn zuerst in dieser Angelegenheit konsultieren sollen,

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