Nevare 01 - Die Schamanenbrücke
sehnte sich so sehr danach, sich in Trist zu irren.
Trist schaute ihn gekränkt an. »Caulder, ich habe dir das schon einmal g esagt. Ich habe noch nie erlebt, dass jemandem von einem Priem Kautabak dermaßen übel geworden ist. Wo ich herkomme, kauen sogar Kinder manchmal Kautabak, und ich habe noch nie gehört, dass eines sich danach übergeben musste. Es soll sogar gut für die Gesundheit sein. Ich habe einmal gesehen, wie meine Mutter meiner kleinen Schwester einen kleinen Priem gegeben hat. Gegen Koliken.«
Huschte da nicht ein verstohlener Blick zwischen Trist und Oron hin und her? Jedenfalls meldete sich der ro t haarige Kadett zu Wort mit der Beteuerung: »Ich kann das auch überhaupt nicht verstehen. Ich kaue Tabak, seit ich acht bin, und hab noch nie irgendwas Schlimmes g e merkt.«
»Kadett Jaris hat mir erzählt, dass fast jedem vom T a bakkauen beim ersten Mal schlecht wird. Er hat gesagt, du hättest das absichtlich gemacht, und das hätte ich d a von, wenn ich dem Sohn eines neuen Edelmanns vertra u en würde. Er meinte, du hättest es getan, um mich läche r lich zu machen. Und er und die anderen, die bei ihm w a ren, haben mich ausgelacht.« Caulder musste sich a n strengen, um seine Stimme ruhig zu halten. Während des Schweigens, das seinen Worten folgte, stand er ganz still da, sichtlich hin und her gerissen. Ich konnte sehen, wie sehr er sich wünschte, dass Trist ehrlich und aufrichtig mit seinem Angebot war, sein Freund zu sein. Er tat mir leid; er war so jung und sehnte sich so sehr danach, g e mocht zu werden. Doch gleichzeitig empfand ich auch so etwas wie Schadenfreude. Es geschah ihm ganz recht, dass er jetzt so litt. Ich war sicher, dass er bei den Übe r fällen auf Gord und auf Tiber seine Finger mit im Spiel gehabt hatte. Er war heimtückisch. Und wie stand es doch in der Schrift: Heimtücke wird mit Heimtücke ve r golten werden.
Trist spreizte hilflos die Hände. »Was soll ich darauf erwidern, Caulder? Ich möchte nicht schlecht über einen Mitkadetten und Kavallamann reden, und deshalb kann ich dich nicht zu der Einsicht bringen, dass andere vie l leicht lügen und mich verleumden, damit du mir mis s traust. Ich kann nur in aller Aufrichtigkeit sagen, dass es mir leid tut, dass etwas, das ich dir gegeben habe, dir so l che Übelkeit bereitet hat. Ich gebe dir meine Hand da r auf.« Der blonde Kadett trat vor und streckte dem Jungen die Hand entgegen.
Caulder machte ein Gesicht, als sei plötzlich die Sonne allein für ihn aufgegangen. Freudig ergriff er Trists Hand, während Spink gleichzeitig angewidert hervo r presste: »Möge der gütige Gott alles sehen, was ihr tut.« Es ist eine Redensart, von der mein Vater einmal sagte, sie sei e benso sehr ein Fluch wie ein Segen, denn nur wenige von uns würden gern den gütigen Gott zum Ze u gen all dessen aufrufen, was wir jeden Tag tun. Ich war nicht sicher, ob Caulder überhaupt hörte, was Spink sa g te, denn er schaute ihn gleich darauf mit einem häm i schen Grinsen an und sagte: »Mein Vater wartet nicht gern!«
Ich sah, wie Spink an sich halten musste, um darauf nichts zu entgegnen. Er stand auf, klappte seine Bücher zu und räumte seinen Platz auf. »Mich wundert ein w e nig, dass der Kommandant um diese Uhrzeit noch in se i nem Büro ist«, bemerkte ich, und Caulders Gesichtsau s druck bekam nahezu etwas Triumphierendes, als er erw i derte: »Wenn es um eine disziplinarische Angelegenheit geht, wo sollte er dann wohl sonst mit dem fraglichen Kadetten sprechen?«
»Disziplinarische Angelegenheit?« Spink machte ein erschrockenes Gesicht, und das mit gutem Grund. Direkt ins Büro des Kommandanten zitiert zu werden in einer disziplinarischen Angelegenheit, und das nach dem U n terricht, das ließ auf einen extremen Verstoß gegen die Hausordnung der Akademie schließen, einen Verstoß, der mindestens einen Verweis erwarten ließ, wenn nicht mehr.
Caulder lächelte fröhlich. »Ich weiß natürlich nicht, worum es im Einzelnen geht«, sagte er mit einer zucke r süßen Stimme, aus der man das genaue Gegenteil he r aushören konnte. Er schaute aus dem Fenster. »Ich rate dir, dich zu beeilen.«
»Möchtest du, dass ich mitkomme?«, fragte ich Spink. Ich verging fast vor Neugier und vor Angst.
»Er könnte dir die Hand halten«, schlug Caulder h ä misch vor.
»Ich werde schon allein klarkommen«, sagte Spink mit einem vernichtenden Blick auf den Jungen. Er holte seinen Mantel, und einen Moment später war er ve r
Weitere Kostenlose Bücher