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Nevare 01 - Die Schamanenbrücke

Titel: Nevare 01 - Die Schamanenbrücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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in seine Welt rief, und ich hatte es getan. Jetzt hielt sie die Brücke fest, ve r band meine Welt mir ihrer.
    Als die Baumfrau mich sah, warf sie plötzlich ihre Arme hoch in die Luft. Sie wurde größer, immer größer, bis sie so groß war wie die Eichen hinter ihr, und wurde immer noch größer. Sie schwoll an, bis sie fast den Himmel über dem kahlgerodeten Hang verdeckte. Sie zeigte auf mich mit einem Finger, der so groß war wie ein Ast. »Zurück mit dir!«, herrschte sie mich wütend an. »Du sollst nicht an diesem Ort sein! Geh zurück! Bleib in dem Körper, bis wir bereit sind!«
    Was gab ihr solche Macht über mich? Sie packte mich beim Schopf, riss mich aus der dahinschlurfenden Menge der Geister heraus und schleuderte mich zurück über die Kluft. Ich landete auf dem Rücken, meine Augen öffn e ten sich, und ich japste erschrocken. Bleiches Tageslicht erfüllte den Raum um mich herum und stach mir schmerzhaft in die Augen. Jemand ergriff meine abg e zehrte Hand und drückte sie so fest, dass die Knochen aneinander rieben. »Er ist nicht tot! Herr Doktor, ko m men Sie! Nevare ist nicht tot!«
    Die Stimme des Doktors kam von weiter weg als die Epinys. »Ich sagte doch, er ist nicht tot! Diese Krankheit gaukelt einem manchmal vor, dass der Patient tot ist. Das ist eine ihrer Gefahren. Wir geben die Leute zu schnell auf. Flößen Sie ihm heiße Brühe ein. Das ist alles, was Sie im Moment für ihn tun können. Und dann wechseln Sie das Bettzeug auf den leeren Liegen. Ich fürchte, wir werden sie spätestens heute Abend wieder alle belegt haben.«
    Meine Fieberträume waren so lebendig und so frem d artig gewesen, dass ich für kurze Zeit einfach hinnahm, dass Epiny auf einem Hocker z wischen meinem und Spinks Bett saß. Sie trug einen fleckigen Kittel über e i nem ihrer albernen Kleider. Ihre Wangen waren gerötet, ihre Lippen aufgesprungen. Ihr abgehärmtes Gesicht und ihr im Nacken zu einem Knoten gebundenes Haar ließen sie fraulicher denn je aussehen. Ich starrte sie an und vergaß, mich zu wehren, als sie anfing, mir mit einem Löffel heiße Brühe einzuflößen. Als ich daraufhin heftig zu zittern begann, tat sie die Schale und den Löffel be i seite und zog meine Decken zurecht. »Bist du mit der Schule fertig?«, fragte ich sie. Meine rissigen Lippen hatten Mühe, die Worte zu formen.
    Einen Moment lang schaute sie mich stirnrunzelnd an, und dann verzog sie den Mund zu einem säuerlichen L ä cheln. »Ja, damit bin ich in der Tat fertig!«, sagte sie und lachte. Sie beugte sich ein Stück näher zu mir. »Ich bin abgehauen. Und ich bin zum Dunkelabend gegangen und habe ein paarwunderschöne Stunden mit Spink verbracht. Und dann bin ich nach Hause gegangen und habe meinen Eltern erzählt, wo ich gewesen war. Ich wusste genau, dass meine Mutter sagen würde, mein Ruf sei vollends ruiniert, ich sei eine Geschädigte Ware‹, und all die and e ren drolligen Phrasen, mit denen mächtige Frauen die titulieren, die sich ihrer Herrschaft nicht fügen. Aber ich wusste auch, dass Spinks Familie bereits ein Angebot für mich gemacht hatte, weil ich nämlich den Brief stibitzt hatte. Als sie mir sagte, dass kein anständiger Mann mich jetzt mehr haben wolle, legte ich ihn auf den Tisch, vor beide, und sagte ihnen, das sei das einzige Angebot, das sie jemals für mich kriegen würden, und sie seien deshalb gut beraten, es anzunehmen. Oh, du hättest erleben mü s sen, was für eine Szene sie mir daraufhin gemacht hat.« Ihre Stimme klang plötzlich ganz belegt, und sie schwieg einen Moment. Ich wusste, dass ihr Triumph nicht frei von Schmerz war. Als sie fortfuhr, war ihre Stimme wi e der fester. »Meine Eltern werden keine andere Wahl h a ben, als das Angebot anzunehmen. Kein anderer will mich jetzt mehr haben. Dafür habe ich gesorgt.«
    Ich schaute sie verblüfft an. »Aber Spink hat gesagt, ihr hättet euch verfehlt.«
    Sie sah mich überrascht an, doch dann lächelte sie. Dann wandte sie sich von mir ab und streckte die Hand aus, um sein Gesicht zu berühren. »So eine liebe kleine Lüge. Es hat ihn wahrscheinlich eine Menge gekostet, dich zu belügen, um meine ›Ehre‹ zu schützen. Er hält große Stücke auf dich, musst du wissen. Er möchte, dass unser erster Sohn deinen Namen trägt. Wir haben vor, so schnell wie möglich zu heiraten und eine Familie zu gründen.« Als sie das sagte, wirkte sie plötzlich genauso mädchenhaft brav und häuslich wie meine beiden Schwestern. »Wir werden ein

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