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Nevare 01 - Die Schamanenbrücke

Titel: Nevare 01 - Die Schamanenbrücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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Menschen wieder nach draußen, und die Zeitungen erschienen wieder. Die Akademie steht immer noch unter Quarantäne. Hier w ü tet die Seuche nach wie vor, als hätte sie hier Wurzeln geschlagen und würde sich erst zufrieden geben, wenn sie euch alle umgebracht hat. Die Stadtväter haben b e schlossen, j eden, der an der Krankheit leidet, hierher zu schicken, um ihn von der Masse der Bevölkerung fer n zuhalten. Die Zeitungen sprachen von langen Reihen von Leichen, die draußen auf den Rasenflächen lägen, nur mit Laken und einer dünnen Schicht Schnee bedeckt. Die Toten werden auf dem Akademiegelände beerdigt und mit ungelöschtem Kalk bedeckt, wegen des Gestanks.
    Ich kam, als in der Zeitung stand, die Ärzte würden die Leichen jetzt einfach in den Gängen des Krankenr e viers aufstapeln lassen und Bettler von den Straßen als Ersatz für die Krankenwärter anheuern, die selbst Opfer der Seuche geworden sind. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass du und Spink hier todkrank darni e derliegt und niemand sich um euch kümmert. Und dass ihr krank wart, sah ich ja daran, dass keine Briefe mehr kamen. Also bin ich mitten in der Nacht von zu Hause weggelaufen. Ich habe fast die ganze Nacht gebraucht, um hierherzukommen, und dann musste ich ja auch noch an den Quarantänewachen vorbei. Zum Glück fand ich einen Baum, dessen Äste über die Mauer ragten. Im Nu war ich drüben. Und als ich erst einmal drinnen war, konnte Doktor Amicas mich ja schlecht wieder hinau s werfen. Ich stehe jetzt genauso unter Quarantäne wie alle hier. Als ich ihm sagte, dass es keinen Sinn habe, wenn er mir verbiete mitzuhelfen, gab er mir einen Kittel und sagte, ich könne so lange helfen, bis auch ich an der Se u che stürbe. Er ist ein vernünftiger Mann, aber als Arzt ist er nicht sehr optimistisch, findest du nicht auch?«
    »Geh nach Hause«, sagte ich. Dies war kein Ort für sie.
    »Das kann ich nicht«, erwiderte sie. »Meine Mutter würde mich nicht mehr zur Tür hereinlassen, aus Angst, ich könnte die Seuche in mir tragen. Und irgendwo a n ders könnte ich unter diesen Umständen nicht hin. Ich bin nicht nur eine entehrte Frau, ich bin jetzt auch eine mö g liche Überträgerin der Seuche.« Weder das eine noch das andere Schicksal schien sie freilich traurig zu stimmen. Doch dann wurde ihre Stimme leise, und sie sagte nüc h tern: »Außerdem brauchst du mich hier. Ihr braucht mich beide, aber du ganz besonders. Was immer es war, was da über dir hing, als wir uns das letzte Mal getroffen h a ben, es ist größer und stärker geworden. Als ich dachte, du seist tot … machte mir das furchtbar Angst. Du hast nicht mehr geatmet, du hattest keinen Puls mehr. Deine – nun lach nicht – deine Aura war verblasst, so sehr, dass ich sie nirgends mehr erspüren konnte. Aber die Aura von diesem, d iesem anderen da, das in dir ist, war stärker geworden. Sie wütete in dir wie Feuer, das ein Holzscheit verzehrt. Ich hatte solch furchtbare Angst um dich. Du brauchst mich, damit ich dich davor beschützen kann.«
    O nein, das auf keinen Fall – dessen war ich mir ganz sicher. Ich hatte schon Schuldgefühle, weil Epiny hie r hergekommen war und damit ihr eigenes Leben aufs Spiel setzte. Schlimm genug, dass Caulder mich dazu verdammt hatte, von der Akademie zu fliegen. Ich konnte sterben, und meine Schande würde mit mir sterben. Sie würde mit ihrer Ehrlosigkeit leben müssen, und mein Onkel ebenso. Eine vage Erinnerung daran, wie es gew e sen war, als ich in jener anderen Welt war, ging mir durch den Kopf wie ein nachklingender Duft, und ich war plötzlich ganz sicher: Wer oder was auch immer die Baumfrau war, ich wollte Epiny auf keinen Fall in ihrer Nähe wissen.
    Sie starrte mich mit großen Augen an. Erst jetzt sah ich, dass es ihr nicht gut ging. Kleine gelbliche Krusten begannen sich in ihren Augenwinkeln zu bilden. Ich hätte es an ihren aufgesprungenen Lippen und den glutroten Wangen erkennen müssen. In ihr brannte schon das Fi e ber der Seuche. Doktor Amicas hatte wieder einmal Recht gehabt.
    Ängstlich streckte sie die Hand nach meinem Kopf aus, und ihre Finger zuckten zurück, als hätte sie sich verbrannt. »Sie kommt und geht«, sagte sie leise. »Sie schimmert über dir und um dich herum, erst schwach und dann stark. Jetzt leuchtet sie über deinem Kopf. Wie eine Flamme, die man durch ein Blatt Papier sehen kann, kurz bevor sie hindurchschlägt und das Papier verbrennt.«
    Während Epiny dies sagte, konnte ich es –

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