Nevare 01 - Die Schamanenbrücke
ächzten, geriet sie weder ins Schwanken, noch gab sie unter meinen Schritten nach. Der Duft der zertretenen Blüten und Pflanzen hatte etwas seltsam Stechendes, aber ein Geruch würde mir doch bestimmt nichts anhaben können! Ich hatte noch nicht einmal die Hälfte des Weges zurückg e legt, als sich an meinen Händen winzige weiße Bläschen bildeten. Sie brannten und juckten höllisch, und ich ve r spürte den unwiderstehlichen Drang, daran zu kratzen. Als ich meine Hände zu Fäusten ballte, platzten die Bl ä schen. Die Flüssigkeit, die aus ihnen herauslief, brannte wie Feuer auf meiner Haut und ließ überall sofort neue Bläschen aufblühen. Ich hielt die Hände vom Körper weg und versuchte, den sengenden Schmerz zu ignorieren. Ich war heilfroh, dass ich Stiefel anhatte und nicht die fl a chen, weichen Schuhe eines Flachländers. Wenn der Saft der Pflanzen auch mit meinen Füßen in Berührung g e kommen wäre, hätte ich ganz gewiss nicht weitergehen können. Zu allem Überfluss besannen jetzt auch noch meine Augen zu brennen, und meine Nase fing an zu la u fen. Ich musste all meine Willenskraft aufbieten, um mich nicht im Gesicht zu kratzen. Verzweifelt stolperte ich weiter, und als ich die nächste steinerne Kuppe e r reichte, erwies sie sich als genauso klein, wie sie mir z u vor aus der Ferne erschienen war. Ich ließ die abscheul i chen Pflanzen hinter mir und hockte mich auf die Kuppe, die kaum größer war als eine Suppenschüssel.
Sofort hörte das Jucken und Brennen auf. Die Blasen an meinen Händen verschwanden. Ich wagte immer noch nicht, mein Gesicht anzufassen, doch als ich den Kopf zur Schulter neigte und mir die tränenden Augen am Oberarm abwischte, ließen meine Beschwerden sogleich nach. Ich hätte mich noch viel besser gefühlt, hätte ich nicht auf einem so winzigen Eiland gekauert. Es bot nicht genug Platz zum Sitzen und Ausruhen, also machte ich mich nach kurzem Verschnaufen wieder auf den Weg.
Die nächste Brücke war aus Vogelknochen gebaut, die kunstvoll durchbohrt und mit feinen, fadendünnen Bä n dern miteinander verknüpft und verbunden waren. Hier und da glitzerte eine Perle oder blankpolierter Stein in dem beinernen Netz. Vielleicht waren sie einst Glieder von Armbändern oder Halsketten gewesen, bevor sie in die Hängebrücke eingefügt worden waren. Die winzigen Knöchlein stießen mit einem feinen Knistern aneinander, als ich den Fuß auf sie setzte. Trotz der Fragilität der Konstruktion brachen sie weder unter meinem Gewicht durch, noch schwankte die Brücke unter der Last meiner Schritte. Nur der jäh auffrischende Wind zwang mich innezuhalten, als er an meinen Kleidern zerrte und in meinen Ohren wisperte. Die Böen trugen eine seltsame, ferne Melodie an mein Ohr. Ich blieb stehen und lauschte ihr. Aus der Ferne erklangen Flöten und das Klappern von beinernen Kastagnetten -Kidona-Musik. Sie war mir fremd, und doch spürte ich ihre Bedeutung. Ich blickte hinunter auf die Brücke unter meinen Füßen und wusste plötzlich, dass die Vogelknochen Teile eines Musiki n struments waren. Die Musik sang zu mir in einer Spr a che, die ich fast verstand. Ich stand still und versuchte, ihre Bedeutung zu erfassen. Ich glaube, wenn ich ein echter Flachländer gewesen wäre, wäre sie in ihrem B e mühen mich einzuschläfern zwingender gewesen. So aber gelang es mir, ihren Einfluss von mir abzuschütteln und mich aus der Starre zu befreien. Ich ging weiter und vollendete diese Etappe der Reise.
Diesmal war der steinerne Turm, den ich erreichte, viel breiter als der vorherige: die Kuppe war genauso groß, wie die des letzten klein gewesen war. Ich hätte mich bequem auf ihr ausstrecken und schlafen können, ohne Angst herunterzufallen. Doch war mir allein schon die Versuchung, es zu tun, Warnung genug, um es zu unterlassen. Ich hatte endlich etwas gespürt, das ich schon die ganze Zeit hätte spüren sollen: Dieser Weg war nicht für mich gemacht. Dewara hatte alles in seiner Macht Stehende getan, um aus mir einen Kidona zu m a chen, aber ich war kein richtiger Kidona. Ich überquerte Strecken, deren Bedeutung sich mir entzog. Vermutlich barg jede dieser Brücken einen tiefen Sinn in sich, eine Symbolik, die nicht zu meiner gernischen Seele durc h drang. Aus irgendeinem Grund erfüllte mich das mit Scham – ich fühlte mich wie ein ungebildeter Mensch, der außerstande war, die kulturelle Bedeutung eines wunderschönen Gedichts zu erfassen. Ich begriff ja nicht einmal die volle
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