Nevare 01 - Die Schamanenbrücke
Sohn einem Wilden anvertraut, einem Mann, der allen Grund hatte, dich nicht nur mit der nachtragenden Hartnäckigkeit se i ner bösartigen Rasse, sondern auch ganz persönlich zu hassen? Warum hast du unseren Nevare bewusst und mit voller Absicht in solche Gefahr gebracht?«
Ich hörte, wie mein Vater grimmig durch die Nase schnaubte, und wie er, wartete ich, dass sie ging. Ich wusste, dass er nicht auf ihren Vorwurf antworten würde. Seltsamerweise erinnere ich mich, dass ich mich mehr darüber wunderte, warum sie nicht ging, als dass ich mich fragte, wie er wohl auf ihre Frage antworten würde. Ich denke, es lag daran, dass ich so fest daran glaubte, dass er nicht antworten würde, dass ich mir gar nicht vo r stellen konnte, dass überhaupt irgendeine Antwort mö g lich war.
Dann sprach er. Leise. Ich hatte die Worte schon ei n mal gehört, aber irgendwie klangen sie hier, im Hause meiner Mutter, bedeutungsvoller. »Es gibt gewisse Di n ge, die Nevare nicht von einem Freund lernen kann. B e stim m te Lektionen kann ein Soldat nur von einem Feind le r nen.«
»Was für eine Lektion sollte das sein? Was für eine nützliche Lektion k önnte er von diesem Heiden gelernt haben, außer der, wie man sinnlos stirbt?« Meine Mutter war den Tränen bedenklich nahe. Ich wusste ebenso gut wie sie, dass mein Vater sie in ihre Zimmer verbannen würde, bis sie ihre Fassung wiedererlangt hätte, falls sie anfangen sollte zu weinen oder gar zu schluchzen. Er konnte die Tränen einer Frau nicht ertragen. Ihre Stimme klang gepresst, als sie sagte: »Er ist dir ein guter Sohn – willig, gehorsam und ehrlich. Was könnte er von einem Wilden wie diesem Kidona lernen?«
»Zu misstrauen.« Er sagte es so leise, dass ich es kaum hören konnte. Ich konnte es kaum fassen, dass er übe r haupt eine Antwort gab. Er räusperte sich und fuhr fort, jetzt mit festerer Stimme: »Ich weiß nicht, ob du das ve r stehen kannst, Selethe. Dieses eine Mal will ich vers u chen, es dir zu erklären. Hast du schon einmal etwas von Dernels Torheit gehört?«
»Nein.« Sie sprach ganz leise. Es überraschte mich nicht, dass sie noch nie etwas von Hauptmann Dernel gehört hatte. Jeder beim Militär kannte seinen Namen. Er hatte sich nicht mit Ruhm bekleckert, sondern war b e rüchtigt. Er war es, dem man die Schuld daran gab, dass wir die Schlacht von Tobale gegen die Landsänger verl o ren hatten. Ein Bote hatte ihm den Befehl von seinem General überbracht, er solle eine Attacke gegen den Feind reiten – eine Attacke, die aussichtslos war. Ein re i nes Selbstmordkommando. Dernel hatte seinem General gegenüber den Vorteil, dass er von seiner hohen Warte aus das Schlachtfeld genau überblicken konnte. Er kon n te eindeutig erkennen, dass sich die Lage dramatisch ve r ändert hatte, seit der Befehl hinter der Front erteilt wo r den war. Er äußerte das sogar gegenüber seinem Off i ziersburschen, den er in seinem Zelt zurückließ. Aber er hatte sich dafür entschieden, ein gehorsamer Soldat zu sein. Er gehorchte einem obsolet gewordenen Befehl und führte 684 Kavalleristen in den sicheren Tod. Er g e horchte, obwohl er erkannt hatte, dass der Befehl falsch war. Jeder Kavallerist kannte diese Geschichte. Der N a me von Hauptmann Dernel war zum Synonym für Kad a vergehorsam geworden, für einen Offizier, der nicht füh r te, sondern lediglich Befehle von oben ausführte, ganz gleich, wie töricht diese waren.
»Nun gut. Dann will ich dich mit dieser Geschichte auch nicht langweilen. Ich will dazu nur so viel sagen: Ich möchte nicht, dass mein Sohn in die Fußstapfen De r nels tritt. Nevare ist, genau wie du gesagt hast, ein guter Sohn. Ein gehorsamer Sohn. Er gehorcht mir bedi n gungslos. Er gehorcht Sergeant Duril. Er gehorcht dir. Er gehorcht. Gehorsam ist ein b ewundernswerter Charakte r zug bei einem Sohn und ein unerlässlicher bei einem Soldaten. In den letzten Jahren habe ich beobachtet, wie er groß wurde, wie er zum Mann reifte, und ich habe da r auf gewartet, dass er mir einmal den Gehorsam verwe i gert, dass er meine Anweisungen hinterfragt, dass er mir die Stirn bietet. Ich wartete darauf, dass er sich irgen d wann einmal herausgefordert fühlen würde, seinen eig e nen Willen durchzusetzen. Mehr noch, ich hoffte darauf, dass er irgendwann einmal sein eigenes Urteil über me i nes oder das von Sergeant Duril stellen würde.«
»Du wolltest, dass er dir widerspricht? Dir trotzt? Aber warum?« Meine Mutter klang geradezu bestürzt.
Mein
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