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Nevare 01 - Die Schamanenbrücke

Titel: Nevare 01 - Die Schamanenbrücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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passende Antwort auf ihre Fr a ge. Ich wusste nur plötzlich, dass ich in sehr großer G e fahr war, in der Art von Gefahr, die nicht bloß einen Moment währt, sondern eine Ewigkeit, und die nicht den Leib bedroht, sondern die Seele. Ich wollte nur noch e i nes: zurück in meine eigene Welt, der Sohn meines V a ters sein und mein Leben als Soldat für meinen König leben. Doch diese Antwort fiel mir zu spät ein. Ich hatte keine Chance, auch nur eine Silbe zu äußern.
    »Ich glaube, ich werde es für dich herausfinden mü s sen. Leben oder Sterben, Soldatensohn?«
    Die Wurzeln unter meinen Füßen wichen zur Seite, und die Brücke tat sich unter mir auf. Die Ranken rissen nicht; sie öffneten ein Loch in ihrem Netz, gerade so groß, dass ich hindurchpasste. Ich stürzte mich mit a ller Kraft vorwärts, rannte über Wurzeln, die unter mir nac h gaben, von der verzweifelten Hoffnung beseelt, mich auf festen Boden zu retten.
    Ich schaffte es nicht. Plötzlich war nichts mehr unter meinen Füßen, nur noch Luft. Meine linke Hand hangelte nach Wurzeln, die sich mir entwanden und sich meinem Griff entzogen. Alle Wurzeln und Ranken hatten sich zurückgezogen, eine breit klaffende Lücke hatte sich in ihrem Netz aufgetan. Vor mir war nur noch nackter Fels – der Rand der Klippe. In einem törichten, aus schierer Verzweiflung geborenen Akt stieß ich mit meinem D e gen nach dem Stein, wohl wissend, dass die Spitze seiner Klinge ihn kaum noch erreichen konnte.
    Sie drang in ihn hinein, mit einem Ruck, der mir tief in den Arm fuhr. Der Stein hatte regelrecht nach ihr g e schnappt, wider alle mir bekannten Gesetze der Natur. Die Baumfrau japste laut, ob vor Schreck oder vor Schmerz, vermag ich nicht zu sagen. Aber ich fiel noch immer, und in meiner Not packte ich die Klinge meines Degens mit der linken Hand, während meine rechte vom Griff abglitt. Die Klinge schnitt mir in die Finger, aber die Schmerzen waren nichts im Vergleich mit dem bla n ken Entsetzen, das mich bei der Vorstellung packte, in den Abgrund zu stürzen. Blitzschnell fasste ich auch mit der rechten Hand zu und schloss sie um die Klinge. Da baumelte ich nun über dem Abgrund, und das ganze G e wicht meines Körpers hing an meinen Händen, die die sorgfältig geschliffene Klinge meiner Waffe umkla m merten, während ich verzweifelt versuchte, mit den Sti e felspitzen irgendwie Halt an der steil abfallenden Fel s wand zu finden. Ich wusste, ich würde mich nicht lange halten können. Meine Willenskraft, die meinen Händen befahl, die Klinge umklammert zu halten, würde entw e der vor den Schmerzen kapitulieren, oder sie würde ve r gebens sein, sobald ich mir selbst die Finger von den Händen abgetrennt haben würde.
    »Hilf mir!«, schrie ich. Mein Ruf war weder an die Baumfrau gerichtet, die unbarmherzig auf mich hera b schaute, noch an Dewara, der mich in dieses Verderben getrieben hatte. Mein Ruf galt vielmehr dem gleichgült i gen Universum, eine verzweifelte Bitte, dass irgendj e mand oder irgendetwas sich dieses kläglich baumelnden Stückes Leben erbarmen möge.
    Die Schmerzen waren schier unerträglich, und die Klinge war nass und glitschig von meinem Blut. Ich wollte sie mit einer Hand loslassen und versuchen, mich mit der anderen irgendwie an dem bläulichen Stein d er Klippe festzuhalten, aber er war glatt und konturlos. Ich schloss die Augen. Ich wollte nicht zusehen, wie mir die Finger von den Händen fielen, bevor ich in den Abgrund stürzte.
    »Soll ich dich hochziehen?«, fragte mich die Bau m frau.
    »Hilf mir! Bitte!«, flehte ich sie an. Inzwischen war mir völlig gleichgültig, ob sie Freund oder Feind war. Sie war meine einzige Überlebenschance. Ich öffnete die Augen wieder. Sie war nähergekommen, befand sich aber immer noch außerhalb meiner Reichweite. Sie stand da und blickte neugierig auf mich herab. Ich konnte die Farnwedel sehen, die aus ihrem moosigen Gewand spro s sen.
    »Bitte was?«, fragte sie mich leise, aber unerbittlich.
    »Bitte hilf mir hinauf!«, keuchte ich.
    »Ich soll dich hochziehen?«, fragte sie, als wolle sie sich vergewissern, dass sie mich richtig verstanden hatte. »Du möchtest also leben? Die Brücke überqueren und es vollenden?«
    »Bitte! Zieh mich hoch!« Ich schrie die Worte hinaus. Blut lief mir über die Handgelenke. Die Schneide der Klinge hatte die Gelenke meiner Finger gefunden und drang langsam durch sie hindurch. Ich fürchtete, vor Schmerzen ohnmächtig zu werden und abzustürzen, selbst wenn

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