Nevare 01 - Die Schamanenbrücke
Ballsaal eingesetzt. Damals waren wir a l lesamt noch kleine Kinder gewesen, aber sie h atte arg u mentiert, es sei unerlässlich, dass ihre Töchter die Mö g lichkeit hätten, sich auf das Vorteilhafteste zu präsenti e ren, wenn sie andere Edle in unserem Hause als Gäste bewirteten, und hatte darauf bestanden, dass der Tanzb o den aus poliertem Holz sein müsse, und nicht aus dem glänzenden Marmor, den sie aus ihrer Kindheit in ihrem Elternhaus in Alt-Thares kannte. Die Kosten für den Transport solchen Steines stromaufwärts von den weit abgelegenen Steinbrüchen zu unserem Haus in den Flachlanden wären ohnehin untragbar gewesen. Sie hatte sich geschmeichelt gefühlt, als sie feststellte, dass Bes u cher aus dem Westen oft ihre Begeisterung über den sanften Schimmer des gewachsten Holzes kundtaten – und als Oberfläche für den Kontakt mit fein beschuhten Tanzbeinen schien er bestens geeignet. Gern und voller Stolz erzählte sie, dass Lady Currens, ihre Freundin aus gemeinsamen Kindheitstagen, gleich bei ihrer Rückkehr in ihr vornehmes Domizil in Alt-Thares darauf gedrängt hatte, dass ihr Gemahl die Verlegung just eines solchen Tanzbodens in ihrem eigenen Haus in Auftrag gab.
Die Gästeliste für meinen Abschiedsempfang trug die Namen des Landadels aus dem gesamten Umkreis. Die wohlhabenden Rancher und Viehzüchter und ihre eher fülligen Ehefrauen wären in der feinen Gesellschaft von Alt-Thares wohl mit einem Naserümpfen bedacht wo r den, aber mein Vater sagte, hier in den Wildlanden g e zieme es sich für einen Mann zu wissen, wer seine Freunde und Verbündeten seien, ungeachtet ihres gesel l schaftlichen Standes. Dies mochte meine Mutter vie l leicht manchmal betrüben; ich weiß, sie wünschte sich, dass ihre Töchter eines Tages Söhne aus dem Adel heir a ten würden, zur Not auch aus dem neuen Adel, wenn sie keine passende Partie für sie aus den Reihen der älteren Adelsfamilien finden konnte. Also erweiterte sie den Kreis der Eingeladenen um die Angehörigen unseres e i genen Standes, trotz der Entfernungen, die sie zurückl e gen mussten. Lord und Lady Remwar mussten eine e i neinhalbtägige Reise auf sich nehmen, um der Einladung meiner Mutter nachzukommen; auch der verwitwete Lord Keesing und sein Sohn brauchten kaum weniger. Insgeheim glaubte ich, dass meine Mutter diese Gelege n heit nutzte, um sich ein Bild davon zu verschaffen, wie diese Söhne aus edlem Hause sich so machten, und sie meinem Vater als mögliche Partien für Elisi und Yaril vorzustellen. Ich nahm ihr das nicht übel, standen doch auf der Gästeliste auch Lord und Lady Grenalter und ihre Tochter Carsina. Als ich an Carsina dachte und in den Spiegel s chaute, stellte ich fest, dass mein kahlgeschor e ner Kopf seltsam klein über meiner feschen Kadettenun i form aussah. Aber es gab nichts, was ich dagegen hätte tun können; ich konnte also nur hoffen, dass Carsina mich so in Erinnerung haben würde, wie ich bei unserer letzten Begegnung ausgesehen hatte, und die Veränd e rung nicht lächerlich oder peinlich finden würde.
Ich hatte Carsina vielleicht ein halbes Dutzend Mal gesehen, seit mein Vater mir eröffnet hatte, dass Lord Grenalter der Heirat zugestimmt habe. Theoretisch unte r lagen alle unsere Begegnungen sorgfältiger elterlicher Überwachung. Carsina war die Freundin meiner Schw e ster. Es war daher normal, dass sie meine Schwester Y a ril des öfteren besuchte und dass solche Besuche mitunter eine ganze Woche dauerten. Obgleich unsere Verlobung nicht förmlich bekannt gegeben worden war – das würde bis zu meinem Abschluss an der Akademie warten mü s sen –, war es ihr und mir klar, dass wir nun füreinander bestimmt waren. Es gab Momente, da sich unsere Blicke am Esstisch trafen und mir das Herz bis zum Halse klop f te. Während ihrer Besuche spielten sie und Yaril und El i si oft zusammen Harfe im Musikzimmer, und dann sa n gen sie immer die romantischen alten Balladen, die den Mädchen offenbar am besten gefallen. Ich wusste, dass sie es zu ihrem eigenen Vergnügen taten, aber wenn ich durch das Zimmer ging und Carsina sah, den elegant g e schwungenen hölzernen Rahmen ihrer Harfe an ihre we i che, zarte Brust gelehnt, während ihre pummligen kle i nen Hände nach jedem Akkord anmutig von den Saiten emporschwebten, schienen ihre Worte eindeutig auf mich gemünzt – schließlich sang sie von »meinem tapfren Re i tersmann in seinem grünen Rocke«, »der wacker streit’ für seine Königin«. Wenn ich
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